I. Vorbemerkung
Jeder hat Nachbarn, gleich ob als Mieter, Vermieter, Haus- oder Wohnungseigentümer. Alle Formen menschlichen Zusammenlebens sind zwingend mit Auswirkungen für andere verbunden. Sie werden aus der Sicht des Beeinträchtigten als Immissionen bezeichnet.
Der Beitrag stellt die klassische "magna carta" der gesetzlich geregelten Immissionsarten vor und beschreibt sie näher mit praxisrelevanter Gewichtung anhand ausgewählter Rechtsprechung.
II. Anspruchsschema
Zentrale Vorschriften sind die §§ 862, 906, 910, 1004 BGB. Bei der Ermittlung und Verfolgung nachbarlicher Ansprüche sind folgende Fragen zu untersuchen:
1. Selbsthilfemöglichkeiten
Insbesondere des Besitzers wegen verbotener Eigenmacht (§ 859 BGB) und des Eigentümers wegen eindringender Wurzeln und überhängender Zweige (§ 910 BGB), allgemeines Selbsthilferecht gem. § 229 BGB.
2. Beseitigungsansprüche, Unterlassungsansprüche
3. Sekundäransprüche
Falls keine Selbsthilferechte oder Ansprüche auf Beseitigung oder Unterlassen einer Beeinträchtigung bestehen, ist nach Ansprüchen anderer Art zu fragen. In Betracht kommen:
a) Aufwendungsersatzansprüche aus
b) Entschädigungsansprüche
- Schadensersatz insbesondere aus § 823 Abs. 1 u. 2 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz,
- Entschädigungspflicht wegen hinzunehmender Beeinträchtigungen aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB,
- Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch gem. § 906 BGB analog,
- Bürgerlich-rechtlicher Aufopferungsanspruch,
- Öffentlich-rechtliche Ansprüche wegen enteignendem oder enteignungsgleichem Eingriff (öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch).
4. Korrektur durch die Rechtsfigur des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses?
Nur ganz ausnahmsweise können sich aus der Rechtsfigur des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses als einer Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben gem. § 242 BGB Rechte unter den Nachbarn ergeben. Der BGH hat in ständiger Rechtsprechung immer wieder hervorgehoben, dass sich die gegenseitigen Rechte und Pflichten benachbarter Grundeigentümer grundsätzlich aus den gesetzlichen Bestimmungen des Nachbarrechts ergeben. Dies gelte insbesondere, wenn sie eine ins Einzelne gehende Sonderregelung erfahren haben. Daher müsse sich die Anwendung der Rechtsfigur des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses auf Ausnahmefälle beschränken, deren Besonderheit einen über die gesetzliche Regelung hinausgehenden billigen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zwingend gebiete. Es gehe nicht an, die gesetzlichen Regelungen des Privatrechts mithilfe des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses in ihr Gegenteil zu verkehren (vgl. zuletzt: BGH, Urt. v. 26.10.2018 – V ZR 143/17, juris; BGH NJW 1984, 729, 731; BGHZ 38, 61, 64 f. = NJW 1962, 2341).
5. Verjährung der Ansprüche?
Wie alle bürgerlich-rechtlichen Ansprüche unterliegen auch nachbarrechtliche Ansprüche der Verjährung, soweit nicht besondere Bestimmungen bestehen (§ 194 Abs. 1 BGB). Ausnahmevorschrift hierzu ist § 924 BGB. Danach sind die nachbarrechtlichen Ansprüche aus den §§ 907 bis 909, 915, 917 Abs. 1, 918 Abs. 2, 919, 920, 923 Abs. 2 BGB unverjährbar.
Das Selbsthilferecht nach § 910 BGB verjährt nicht, da es sich begrifflich nicht um einen Anspruch i.S.d. § 194 BGB handelt, nach dem von einem anderen ein Tun oder ein Unterlassen verlangt werden kann.
Beseitigungsansprüche aus § 1004 BGB verjähren nach §§ 195, 199 BGB in drei Jahren (BGH, Urt. v. 22.2.2019 – V ZR 136/18, juris).
§ 906 BGB nennt insbesondere folgende Beeinträchtigungen, auf die näher einzugehen ist:
III. Gase und Dämpfe
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Das OLG Köln (Urt. v. 3.5.1995 – 2 U 135/94 [n.v.]) verpflichtete einen Eigentümer, die Einfriedung seines Grundstücks mit imprägnierten Bahnschwellen zu beseitigen. Anspruchsgrundlage war § 1004 i.V.m. § 906 BGB. Von den Bahnschwellen gingen Aus... |