Aufklärungs- und Informationspflichten gegenüber seinem Mandanten treffen den beratenden Anwalt immer dann, wenn ihm seine berufliche Erfahrung nahelegt, dass sein Mandant in bekannten Fallkonstellation in Un- oder Fehlkenntnis möglicherweise Fehler mit für ihn nachteiligen Rechtsfolgen begeht oder gebotene, insbesondere fristgebundene Handlungen unterlässt. Mit Blick auf die Klagefrist des § 4 KSchG und den punktuellen Streitgegenstandsbegriff muss der in Kündigungssachverhalten beratende Anwalt dabei immer den Ausspruch von Mehrfach- oder Folgekündigungen durch den Arbeitgeber bzw. seine Vertreter (auch dessen Anwalt) im Blick behalten sowie seinen Mandanten gezielt im Hinblick auf solche weiteren Kündigungen befragen und über die richtige, Rechtsverluste ausschließende Vorgehensweise gegen diese Kündigungen unterrichten.
Der Schleppnetzantrag als allgemeiner Feststellungsantrag ist eine klägerseitige Reaktion und anwaltliche Vorsichtsmaßnahme auf das prozesstaktische Arbeitgeberverhalten in Form der Mehrfachkündigung. Da aufgrund des punktuellen Streitgegenstands nach § 4 KSchG die Kündigungsschutzklage immer nur die konkret benannte Kündigung angreift, vermag sie auch nur bezüglich dieser Kündigung die Drei-Wochen-Klagefrist zu wahren. Daher muss im Regelfall jede erneut ausgesprochene Kündigung gesondert mit einer Kündigungsschutzklage, die im Wege der Klageerweiterung nach § 263 ZPO rechtshängig gemacht werden kann, angegriffen werden. Eine Ausnahme gilt nur für den sog. Schleppnetzantrag, der der Sache nach ein allgemeiner Feststellungsantrag nach § 256 ZPO mit dem Inhalt ist, festzustellen, "dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Kündigungstatbestände beendet worden ist, sondern ungekündigt fortbesteht". Dieser Klageantrag bedarf einer besonderen Begründung hinsichtlich seiner Zulässigkeit (vgl. BAG, Urt. v. 26.9.2013 – 2 AZR 682/12, NZA 2014, 443, Rn 31 ff.). Fehlt das Rechtsschutzinteresse, über den punktuellen Streitgegenstand hinaus das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses feststellen zu lassen, ist der allgemeine Feststellungsantrag zwar unzulässig. Im Falle weiterer ausgesprochener Kündigungen erfasst er diese gleichwohl aber und wahrt auf diese Art und Weise die Klagefrist, insbesondere bei solchen Kündigungen, die anzugreifen zunächst übersehen worden ist (vgl. Tillmanns, NZA-Beil. 2015, 117 (119); Feldmann/Schuhmann, JuS 2017, 214). Entsprechend stellt der Zweite Senat (BAG, Urt. v. 26.9.2013 – 2 AZR 682/12, a.a.O.) fest:
Zitat
"Erhebt der Arbeitnehmer binnen dreier Wochen nach Zugang einer Kündigung eine allgemeine Feststellungsklage i.S.v. § 256 Abs. 1 ZPO, mit der er den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend macht und die Wirksamkeit jeglichen potentiellen Auflösungstatbestands in Abrede stellt, hat er die Frist des § 4 S. 1 KSchG jedenfalls dann gewahrt, wenn er die fragliche Kündigung noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz – nunmehr konkret bezeichnet – in den Prozess einführt und auf sie bezogen einen punktuellen Kündigungsschutzantrag stellt."
Nach der Rechtsprechung ist der Arbeitnehmer nach Kenntnis von einer weiteren Kündigung also gehalten, diese Kündigung konkret in den Prozess einzuführen und unter Einschränkung des allgemeinen Feststellungantrags i.S.v. § 264 Nr. 2 ZPO einen dem Wortlaut des § 4 KSchG entsprechenden Klageantrag zu stellen. Dabei ist es zur Wahrung der Frist des § 4 KSchG ausreichend, wenn sich der Arbeitnehmer auf die Unwirksamkeit der weiteren Kündigung noch vor Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz beruft.
Praxistipp:
Um auf der "sicheren Seite" zu sein und um Störfallkonstellationen mit Blick auf die Klagefrist nach § 4 KSchG bestmöglich abzufedern, sollte der Schleppnetzantrag in Form des beschriebenen Feststellungsantrags zum Standardrepertoire bei der Erhebung einer Kündigungsschutzklage zählen. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz muss man aber auf Klägerseite in eine abschließende Bestandsaufnahme der anzugreifenden Kündigungen eingetreten sein und die Klageanträge entsprechend dem Vorstehenden konkretisiert haben. Sonst vermag einen auch der Schleppnetzantrag im Kündigungsschutzprozess nicht zu retten.