Vor Kurzem habe ich von meinen Erfahrungen mit der Richterschaft in Pandemiezeiten berichtet (s. Vyvers, § 128a ZPO, die Gerichte und Corona – Anekdoten”, ZAP 2021, S. 675). An dieser Stelle möchte ich nun spiegelbildlich von meinen Erfahrungen mit der Anwaltschaft berichten.
Meine persönliche Situation ist nahezu unverändert. Nunmehr im zweiten Jahr im Dauer-Homeoffice, bringt das Frühlingserwachen diesmal irgendwie keine Aufbruchstimmung mit sich (gut, auch im letzten Jahr war von Aufbruch eher nicht die Rede, aber irgendwie hatte man doch die Hoffnung, dass nach einem Jahr alles überwunden sei und man wieder in den normalen Büroalltag zurückkehren könne). Der eigentliche für Freude bzw. Zufriedenheit sorgende Umstand, dass man einen Job hat, den man dank technischer Ausstattung und genügend Platz ganz gut von extern ausüben kann, ohne sich tagtäglich durch dichte Menschenmassen im ÖPNV in ein Großraumbüro drängeln zu müssen, oder in einer der Branchen tätig zu sein, welche aufgrund von Dauerschließungen seit einem Jahr gar nicht arbeiten können, wird jedoch immer weniger gewürdigt. Stattdessen kommen leider vermehrt Frust, Gereiztheit oder Lethargie zum Zuge, und man muss sich die Luxussituation, die unser im wahrsten Sinne freier Beruf in der aktuellen Lage mit sich bringt, wieder verstärkt vor Augen führen. Zwar mag das ein oder andere Rechtsgebiet auch gelitten haben, die Situation ist jedoch im Vergleich zu den vorerwähnten, komplett geschlossenen Branchen immer noch gut und wir sind schließlich alle als Generalisten/innen ausgebildet worden, so dass man bei Bedarf flexibel auf Marktveränderungen reagieren kann.
Auch in der Anwaltschaft dürfte es wieder Vorsichtige und Abenteuerlustige, Pandemie-Experten und Corona-Leugner geben. Da wir darüber hinaus alle auch noch versuchen, immer im besten Interesse unserer jeweiligen Mandantschaft zu Handeln und so das Optimum im jeweiligen Fall für diese herauszuholen, wundert es vermutlich nicht, dass es gerade in den Pandemie-Zeiten zu der ein oder anderen kuriosen Situation gekommen ist. Nachfolgend einige Beispiele, die alle auf tatsächliche Begebenheiten zurückzuführen sind:
Anwalt/Anwältin Typ 1: persönlich interessiert
Sitz des/der Einen im Norden, Sitz des/der Anderen im Süden, Gericht im Westen Deutschlands. Da bietet sich die Durchführung einer Videoverhandlung doch geradezu an – sollte man meinen. Aber nein, falsch gedacht. Begründung der Gegenseite am Telefon: „Ich möchte Ihr Gesicht sehen”. Gut, ein interessantes Argument, dass sich mir jedoch gerade in der aktuellen Situation nicht so gut erschlossen hat. Verhandlung mit Maske und auf Abstand im Gerichtssaal versus Videoverhandlung ohne Maske und mit Nahaufnahme. Wo sieht man sich besser? Insbesondere, was die Mimik und das „ganze Gesicht” angeht? Meines Erachtens wäre die naheliegende Antwort hierauf, eine Videokonferenz abzuhalten, gewesen. Der/die Kollege/-in meinte aber den Gerichtssaal. Das Gericht wollte jedoch keine Hybridveranstaltung durchführen und die Terminswahrnehmung wurde daher einem jungen Kollegen übertragen. Somit musste der/die Kollege/-in komplett auf ein Wiedersehen mit mir verzichten. Ob er/sie nun enttäuscht war? Hat ihm/ihr das Gesicht des Terminvertreters gefallen? Wird er/sie sich beim nächsten Mal anders entscheiden? Ich weiß es nicht und sollte bei Gelegenheit wohl mal nachfragen.
Anwalt/Anwältin Typ 2: rechthaberisch
Empfehlung von Kontaktbeschränkungen, hohe Inzidenzwerte am Gerichtsort, Probleme mit der Kinderbetreuung im Lockdown, Homeschooling – das sind doch alles keine Gründe, um einen Gerichtstermin aufheben zu lassen, meint ein/e junge/r Kollege/in. Er/Sie hat schließlich Klage eingereicht („Ich weiß gar nicht, warum Ihre Mandantin sich gegen die Forderung wehrt, ich habe alles vorher genau durchdacht”) und über diese Klage möge daher bitte auch schnellstmöglich verhandelt werden. Es gibt schließlich einen Justizgewährungsanspruch! Meine o.g. Einwendungen gegen die Durchführung eines Termins hätten hier zurückzustehen. Insbesondere das mit der fehlenden Betreuung der Kinder sei mein persönliches Problem. Das Landgericht sah die Sache – zu meiner heimlichen Freude – dann doch etwas anders und hob den Termin per Beschluss auf.
Anwalt/Anwältin Typ 3: Insider
Antrag auf Terminsaufhebung? Videoverhandlung? Wieso das denn? Ich arbeite doch in einer Großkanzlei und die seien sich doch zumeist zu fein, zu Terminen raus zu fahren und würden stattdessen einen Unterbevollmächtigten vor Ort beauftragen. Vielen Dank für die Ausführungen zu unserer Arbeitsweise, Herr/Frau Kollege/in. Dieser Praxis war ich mir bislang gar nicht bewusst. Ich muss meine Kollegen/innen dringend fragen, warum in den Abwesenheitslisten vor Corona tagtäglich so schöne Orte wie Düsseldorf, Köln, Erding, Nürtingen (für die Nicht-Reiserechtler: Das sind alles Gerichte, an denen regemäßig Rechtsstreitigkeiten wegen der EG VO 261/2004 „Fluggastrechte-VO” geführt werden – ein Schwerpunkt unserer Tätigkeit) aufgeta...