Vor Erhebung der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4)
nicht aber bei einer reinen Leistungs- und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 5, 55), die nicht der Überprüfung eines VA dienen (zu den Klagearten vgl. näher III.)
sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen (§ 78 Abs. 1 S. 1). Lediglich in den in S. 2 der Vorschrift angegebenen Konstellationen bedarf es eines solchen Verfahrens nicht. Für die Verpflichtungsklage gilt § 78 Abs. 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist. Das Fehlen des Vorverfahrens als von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung führt zur Unzulässigkeit der Klage. Gemäß § 114 Abs. 2 analog haben die Gerichte das Verfahren auszusetzen, um den Klägern die Möglichkeit einzuräumen, das Vorverfahren nachzuholen.
Zulässig ist eine Klage nur dann, wenn der Widerspruch zumindest teilweise erfolglos geblieben ist. In diesem Fall ist Widerspruchsbescheid zu erlassen (§ 85 Abs. 2–4). Ist der Widerspruch begründet, ist ihm gem. § 85 Abs. 1 abzuhelfen. Der erfolgreiche Widerspruch verpflichtet den Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen VA erlassen hat, den Widerspruchsführern die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten (§ 63 Abs. 1 S. 1 SGB X).
Wird während des Vorverfahrens der Verwaltungsakt (VA) abgeändert, so wird auch der neue VA Gegenstand des Vorverfahrens (§ 86). Berücksichtigt die Widerspruchsbehörde den neuen Verwaltungsakt nicht, ist der Widerspruchsbescheid wegen fehlenden Vorverfahrens fehlerhaft. Hs. 2 der Vorschrift des § 86 verpflichtet die Behörde, die den neuen VA erlässt, ihn der Widerspruchsstelle unverzüglich mitzuteilen.
Hinweis:
Auch nach Klageerhebung ist die Beklagte nicht gehindert, in derselben Sache einen neuen VA zu erlassen, der nach § 96 (allerdings „nur dann”) Gegenstand des Klageverfahrens wird, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen VA abändert oder ersetzt. In diesem Fall wird der neue VA „automatisch” Klagegegenstand, es liegt somit eine Klageänderung kraft Gesetzes vor. Die Vorschrift dient der Prozessökonomie und soll Betroffene vor Rechtsnachteilen schützen, die ihnen dadurch erwachsen, dass sie im Vertrauen auf die eingelegten Rechtsbehelfe weitere Schritte unterlassen (s. M-L/K/L/S/Schmidt, SGG, § 96 Rn 1a m.w.N.). Die Vorschrift des § 96 ist im Berufungsverfahren entsprechend anwendbar (§ 153 Abs. 1), für das Revisionsverfahren enthält § 171 eine Sonderregelung.
Wird über einen eingelegten Widerspruch ohne zureichenden Grund in angemessener Frist nicht sachlich entschieden, ist gem. § 88 Abs. 1 Untätigkeitsklage möglich, wobei hier als angemessene Frist eine solche von drei Monaten gilt (§ 88 Abs. 2). Ist ein Antrag auf Vornahme eines VA ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, ist ebenfalls Untätigkeitsklage möglich, aber nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des VA (§ 88 Abs. 1).
Legt die Behörde nach Klageerhebung den Bescheid/Widerspruchsbescheid vor, aber verfristet, so ist das Verfahren in der Hauptsache erledigt, die Beklagte hat dann regelmäßig die außergerichtlichen Kosten der Klägerseite zu erstatten (§ 193). Der Verfassungsbeschwerde gegen die Ablehnung eines Antrags auf Kostenerstattung durch ein SG im Rahmen einer nach Ablauf der Wartefrist erhobenen Untätigkeitsklage – mangels vorheriger Sachstandsanfrage bei der Behörde – hat das BVerfG wegen Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot stattgegeben (BVerfG, Beschl. v. 8.2.2023 – 1 BvR 311/22, hierzu Harks, jurisPR-SozR 11/2023 Anm. 6 und Lehmann, info also 2023, 116) und entschieden, eine allgemeine Pflicht zu einer solchen vorherigen Anfrage bestehe nicht.