Zusammenfassung
Die Bundesregierung hatte am 6.3.2024 einen Gesetzesentwurf zur weiteren Digitalisierung der Justiz in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht (BT-Drucks 20/10493 = BR-Drucks 126/24). Der Gesetzesentwurf hatte das Ziel, durch weitere Rechtsanpassungen im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Aktenführung die bereits fortgeschrittene Digitalisierung in der Justiz in allen Verfahrensordnungen weiter zu fördern (vgl. ZAP 2024, 558).
Inzwischen hat der Gesetzesentwurf das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen und das „Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz” v. 12.7.2024 (im Folgenden kurz: das Gesetz) ist im BGBl verkündet worden (vgl. BGBl I Nr. 234 v. 16.7.2024). Nachfolgend werden die wesentlichen Änderungen für den Bereich der StPO und des OWiG sowie des RVG vorgestellt.
I. Inkrafttreten
Die durch das Gesetz vorgenommenen Änderungen/Ergänzungen sind nach Art. 50 Abs. 1 des Gesetzes im Wesentlichen am 17.7.2024 in Kraft getreten. Soweit sich Abweichungen aus § 50 Abs. 2, 3 des Gesetzes ergeben, wird nachfolgend darauf hingewiesen.
II. Allgemeine Änderungen
1. Hybridaktenführung
Bislang erlaubte die gesetzliche Regelung zur elektronischen Aktenführung in § 32 StPO nicht, Akten, die in Papierform angelegt wurden, elektronisch fortzuführen. Sollten solche Akten elektronisch geführt werden, musste der gesamte bisherige Akteninhalt digitalisiert werden (vgl. zu den Einzelheiten BT-Drucks 20/10493, S. 46). Das ist geändert/erleichtert worden. In § 32 Abs. 1a StPO ist jetzt geregelt, dass Papierakten, die in Straf- oder Bußgeldsachen vor dem 1.1.2026 angelegt wurden, als Hybridakte derart weitergeführt werden dürfen, dass in Papier angelegte Aktenteile weiterhin in Papier geführt werden, die Weiterführung der Akte elektronisch jedoch möglich ist.
2. Übermittlung eines Scans
In allen Verfahrensordnungen ist es durch Einfügung einer Regelung nun möglich, die prozessuale Schriftform für von Naturalbeteiligten oder Dritten in Papierform unterzeichnete Anträge oder Erklärungen, z.B. Insolvenzanträge, durch elektronische Übermittlung als Scan zu wahren (vgl. z.B. § 130a Abs. 3 S. 3 ZPO). Das gilt dort für Bevollmächtigte, Vertreter oder Beistände. In Strafverfahren ist die Regelung in § 32a Abs. 3 S. 3 StPO bzw. in Bußgeldverfahren durch die Verweisung in § 110c S. 1 OWiG auf die Regelung in der StPO allerdings auf professionelle Verfahrensbeteiligte, Verteidiger und Rechtsanwälte, beschränkt worden.
III. Änderungen in der StPO
1. Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 32d S. 2 StPO
§ 32d S. 1 StPO bestimmt, dass Verteidiger und Rechtsanwälte den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument übermitteln sollen. Nach § 32d S. 2 StPO „mussten” bislang nur die Berufung (§ 314 StPO) und ihre Begründung (§ 317 StPO), die Revision (§ 341 StPO), ihre Begründung (§ 344 StPO) und die Gegenerklärung (§ 347 StPO) sowie die Privatklage (§§ 374 ff. StPO) und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage (§ 396 StPO) als elektronisches Dokument übermittelt werden. Dabei handelt es sich um eine Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung der jeweiligen Prozesshandlung, deren Nichteinhaltung die Unwirksamkeit der Erklärung zur Folge hat (zur formwirksamen Einlegung von Rechtsmitteln Burhoff, StRR 7/2024, 5 = VRR 4/2024, 4).
Die Frage, ob auch die in § 32d S. 2 StPO a.F. nicht genannten Rechtsmittel/Rechtsbehelfe (etwa Beschwerde, Einspruch gegen den Strafbefehl) nur noch in elektronischer Form erklärt werden können, war noch nicht geklärt. Zwar ist die Gesetzesbegründung von einer grundsätzlichen Pflicht zur elektronischen Kommunikation ausgegangen, Beschwerden hat sie aber ausdrücklich ausgenommen (BT-Drucks 18/9416, S. 51). Die bisherige – teilweise zu Ordnungswidrigkeitenverfahren ergangene – Rechtsprechung hat auch keine Folgen an eine „nichtelektronische” Einlegung bzw. Rücknahme von Rechtsmitteln geknüpft (BGH, Beschl. v. 4.7.2023 – 4 StR 171/23 zur Revisionsrücknahme; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.11.2022 – 1 Ws 312/22, NStZ-RR 2023, 81 zur Berufungsrücknahme; jeweils zum Einspruch gegen den Bußgeldbescheid OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 28.2.2023 – 1 Ss-OWi 1460/22, NJW 2023, 1528; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22.3.2023 – 2 ORbs 35 Ss 125/23, NStZ 2023, 622; AG Hameln, Beschl. v. 14.2.2022 – 49 OWi 23/22, NZV 2022, 333). Dem ist das Schrifttum gefolgt (KK/Graf, StPO, 9. Aufl. 2023, § 32d Rn 8).
Der Gesetzgeber hat sich dann aber entschlossen, den „ansonsten bestehenden Gleichlauf von Einlegung und Rücknahme” von Rechtsmitteln, der durch die bisherige Regelung unterbrochen wurde, wiederherzustellen bzw. beim Strafbefehl der Situation bei der Rechtsmitteleinlegung anzupassen (BT-Drucks 20/10493, S. 47 f.). Deshalb ist die Nutzungspflicht des § 32d S. 2 StPO nun auch erstreckt worden auf:
Die Nutzungspflicht dürfte m.E. auch für die Teilrücknahme i...