Die "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" ist ein Schreckgespenst für Rechtsanwälte. Wird ein Wiedereinsetzungsantrag notwendig, ist vorher irgendwo etwas schiefgegangen. Entweder in der Anwaltskanzlei selbst oder aber auf der Empfängerseite des Schriftsatzes, also dem Gericht (z.B. BGH, Urt. v. 31.5.2017 – VIII ZR 224/16, ZAP EN-Nr. 534/2017 – zum Eingang eines in den Nachtbriefkasten eingeworfenen Schriftsatzes).
Die "Wiedereinsetzung" ist für den Rechtsanwalt haftungsträchtig: Wird sie nicht gewährt, liegt oftmals ein Fall der Anwaltshaftung vor. Wie oft dies vorkommt und wie umfangreich alleine die Rechtsprechung des BGH dazu ist, zeigen u.a. wiederkehrende Berichte (zuletzt z.B. Bernau NJW 2017, 2001 ff.).
Die Entscheidungen des BGH – mit Blick auf das tatsächliche Geschehen und die Reaktion der Instanzgerichte – hinterlassen zunehmend den Eindruck, dass die Gerichte die Anforderungen an das, was der Rechtsanwalt zu tun hat, überspannen. Folgende Beispiele aus der jüngeren Rechtsprechung mögen dies unterstreichen:
Ein Rechtsanwalt wollte gegen 23:28 Uhr eine Berufungsbegründung per Fax an das OLG Düsseldorf versenden. Das Faxgerät war unstreitig nicht in Ordnung. Der Rechtsanwalt suchte nach einer weiteren Faxnummer, fand diese aber nicht. Am nächsten Morgen faxte er die Berufungsbegründung – gemeinsam mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung. Doch das OLG Düsseldorf zeigte sich hartleibig: Zwar sei es nicht zu beanstanden, dass ein Rechtsanwalt erst um 23:28 Uhr mit der Übermittlung eines Schriftsatzes begonnen habe. Aber von einem Rechtsanwalt sei zu verlangen, dass er über allgemein zugängliche Quellen eine etwa vorhandene weitere Faxnummer des Gerichts ermittle und den Schriftsatz an diese übersende. Dem sei der Rechtsanwalt nicht hinreichend nachgekommen. Auf der Internetseite des Berufungsgerichts werde unter den Kontaktinformationen der Pressesprecher genannt. Der Rechtsanwalt habe von der naheliegende Möglichkeit Gebrauch machen müssen, über den Link "Pressesprecher" zu wählen. Dort sei eine weitere Faxnummer hinterlegt, deren Verwendung der Rechtsanwalt nicht versucht habe. Dieses Verlangen ging dem BGH dann doch zu weit (Beschl. v. 26.1.2017 – I ZB 43/16, ZAP EN-Nr. 537/2017): Unstreitig reiche es aus, wenn der Rechtsanwalt bei einem siebenseitigen Schriftsatz um 23:28 Uhr mit der Übermittlung begonnen habe. Ein Sicherheitszuschlag von 20 Minuten für die Übersendung eines Schriftsatzes rechtzeitig vor Fristende sei ausreichend (Rn 10 der Urteilsgründe a.E.). Der Rechtsanwalt sei nicht gehalten gewesen, eine "Fahndung" nach weiteren Faxnummern vorzunehmen. Der BGH formuliert in seiner Entscheidung: "Soweit der Pressesprecher über eine eigene Telefaxnummer erreicht werden kann, hat die Vergabe dieser Telefaxnummer nicht den Zweck, für die Rechtsuchenden im Fall einer technischen Störung der zentralen Telefaxnummer eine alternative Übermittlungsmöglichkeit für Schriftsätze zur Verfügung zu stellen. Der Pressesprecher übt – auch wenn ein Berufsrichter des Berufungsgerichts mit dieser Funktion vertraut ist – keine rechtsprechende Tätigkeit aus, sondern ist Teil der Gerichtsverwaltung. Seine Telefaxnummer soll erkennbar von denen genutzt werden, die mit ihm in Kontakt treten wollen. Dabei wird es sich vornehmlich um Journalisten handeln." Dem ist nichts hinzuzufügen.
Ein Fall des Landgerichts Bremen zeigt ebenfalls eindrucksvoll, wie Berufungsgerichte den Rechtsanwälten gelegentlich das Leben schwer machen: Ein Rechtsanwalt hatte fristgerecht gegen ein Urteil, zugestellt am 7.7.2014, am 5.8.2014 Berufung eingelegt. Am 4.9.2014 beantragte er mit Hinweis auf seine urlaubsbedingte Abwesenheit und der damit einhergehenden Arbeitsüberlastung, die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern. Am 7.10.2014 ging die Berufungsbegründung beim Landgericht ein. Acht Monate später teilte das Landgericht durch Hinweisbeschluss mit, dass es die Berufung für begründet erachte und den Abschluss eines Vertrags vorschlage. Erneut neun Monate später, im März 2016, fiel dem Vorsitzenden der Berufungskammer plötzlich auf, dass der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht bewilligt worden sei, weil sich die Akte noch beim Amtsgericht befunden habe. Folglich sei die Berufung nicht rechtzeitig begründet worden. Diese Verfügung ging dem Rechtsanwalt am 29.3.2016 zu, innerhalb der Zweiwochenfrist beantragte er am 7.4.2016 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Doch jetzt war das Landgericht schnell geworden: Bereits mit Beschluss vom 5.4.2016 war die Berufung als unzulässig verworfen worden. Der BGH hat deutliche Kritik an dieser Praxis geübt (s. Beschl. v. 26.1.2017 – IX ZB 34/16, ZAP EN-Nr. 227/2017): Zunächst einmal darf ein Rechtsanwalt nach ständiger Rechtsprechung des BGH im Allgemeinen erwarten, dass einem ersten Verlängerungsantrag entsprochen wird, wenn ein erheblicher Grund vorgetragen wird, und als solcher ist die Arbeitsüberlastung anerkannt. Mithin durfte der Rechtsanwalt darauf vertr...