Im August sind mehrere Verfassungsbeschwerden gegen den Einsatz sog. Staatstrojaner eingelegt worden. So hat am 7. August zunächst der Bürgerrechtsverein Digitalcourage Verfassungsklage gegen den durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens gebilligten Einsatz der staatlichen Spähsoftware in Karlsruhe eingereicht (vgl. zu dem Gesetz auch Burhoff ZAP F. 22, S. 889 ff.). Am 20. August zog die Partei FDP nach.
Seit rund einem Jahr dürfen Strafverfolger zur Aufklärung von Straftaten beispielsweise Nachrichten über Messenger-Dienste wie WhatsApp mitlesen. Dafür schleusen sie unbemerkt vom Nutzer eine Spionage-Software in dessen Telekommunikationsgeräte ein, einen sog. Trojaner. Dieser greift die Kommunikation bereits direkt beim Schreiben oder Lesen ab. Noch weiter geht die Online-Durchsuchung, bei der die Ermittler sämtliche auf den Geräten gespeicherten Daten durchforsten dürfen.
Der Verein Digitalcourage warnt angesichts dieser Möglichkeiten vor dem Abbau des Rechtsstaats in Deutschland durch eine ausufernde Überwachung und vor Gefahren für die IT-Sicherheit. Seine Beschwerdeführer, unter ihnen auch mehrere Rechtsanwälte, rügen, dass die Spähsoftware ursprünglich nur vom BKA gegen den internationalen Terrorismus eingesetzt werden sollte. Nun aber dürfe die Polizei auch bei Alltagskriminalität in die Rechner verdächtiger Bürger eindringen. Dies sei eine "Generalerlaubnis" für die Strafverfolgungsbehörden. Sie könnten damit die intimste Privatsphäre der Bürger ausforschen.
Kritisch sehen die Verfassungskläger zudem, dass der Einsatz der Software nur durch die Ausnutzung von IT-Sicherheitslücken möglich ist. Die Sicherheitslücken, die die Polizei nutze, stünden aber auch allen anderen potenziellen Angreifern offen, etwa Geheimdiensten und Kriminellen aus aller Welt. Das Gesetz, so die Beschwerdeführer, sei unverhältnismäßig, zudem verletze der Staat damit seine Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung; denn eigentlich sei es seine Aufgabe, die Privatsphäre der Bürger gegen Überwachung zu schützen.
Von der Unverhältnismäßigkeit der staatlichen Spähaktionen sind auch die Freien Demokraten überzeugt. Sie begründen ihre Verfassungsbeschwerde damit, dass die Online-Durchsuchungen gem. § 100b StPO unter allen heimlichen Überwachungsmaßnahmen der Strafprozessordnung den schwersten Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger darstellen. Die Eingriffstiefe gehe noch über den der akustischen Wohnraumüberwachung (§ 100c StPO) hinaus. Berührt sei insbesondere das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, welches das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2008 begründet habe. Die Regelungen des Gesetzes zur Online-Durchsuchung und zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung (§ 100a ff. StPO) seien, so die FDP, sogar in mehrfacher Hinsicht nicht verfassungskonform:
- So sei die Online-Durchsuchung – anders als die akustische Wohnraumüberwachung – nicht als ultima ratio ausgestaltet, wofür es keinen Grund gebe.
- Die Online-Durchsuchung sei bei einer Reihe von Straftaten möglich, die nach Auffassung der Freien Demokraten einen derart schweren Eingriff nicht rechtfertigen (z.B. bei Geld- und Wertzeichenfälschung, verschiedenen Arten des Bandendiebstahls, der Hehlerei, der Geldwäsche und der Verschleierung unrechtmäßig erlangten Vermögens sowie der Bestechlichkeit und Bestechung).
- Der gesetzlich zugestandene Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung sei unzureichend. Es fehle ein Erhebungsverbot, wenn erkennbar ein Eingriff in den Kernbereich privater Lebensgestaltung drohe, ferner sei nicht vorgesehen, dass ein Richter die erhobenen Daten zuvor auf ihre Kernbereichsrelevanz sichten müsse, bevor Strafverfolgungsbehörden sie zur Kenntnis nähmen.
- Der Schutz von Berufsgeheimnisträgern sei unzulässiger Weise eingeschränkt, weil er sich nicht auf die Berufshelfer erstrecke und so leicht durch einen Zugriff auf deren IT-Systeme umgangen werden könne.
- Die Regelung zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung sei u.a. zu unbestimmt. Der Bürger könne nicht sicher vorhersehen, ob beispielsweise auch aufgerufene Websites, E-Mails, Chatverläufe und Downloads aus der Cloud als Inhalte und Umstände der Kommunikation hierunter fallen.
- Bei allen Maßnahmen fehle letztlich auch die tatsächliche Möglichkeit einer hinreichenden Kontrolle. So könne am Ende gar nicht überprüft werden, ob die gesetzlichen Anforderungen bei Einsatz der neuen Überwachungsmöglichkeiten eingehalten worden sind. Hierin liege ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in seiner Ausprägung als Grundrechtschutz durch Verfahrensgestaltung.
Die FDP gesteht durchaus zu, dass sich Kriminelle ständig neuer Methoden und Techniken bedienen. Allerdings, so Fraktionsvize Stephan Thomae, müsse der Staat im Kampf dagegen immer wieder die Verhältnismäßigkeit von Eingriffen in Bürgerrechte und Privatsphäre von Bürgern prüfen.
[Quellen: Digitalcourage/FDP]