Bestehen, wie häufig, mehrere Funktionsbeeinträchtigungen, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 152 Abs. 3 S. 1 SGB IX). Hierbei dürfen die Einzel-GdB-Grade nicht einfach addiert werden, VMG Teil A Nr. 3 Abs. a. Vielmehr ist der maßgebliche Gesamt-GdB, der maximal 100 betragen kann, zu ermitteln aus einer Zusammenschau sämtlicher Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigen sowie der VMG (Teil A Nr. 3) in freier richterlicher Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 S 1 SGG), also nicht nach starren Beweisregeln (BSG, Urt. v. 5.5.1993 – 9/9a RVs 2/92, SozR 3 – 3870 § 4 Nr. 5).
Üblicherweise werden bei der Bildung des Gesamt-GdB folgende Sachverhaltskonstellationen unterschieden:
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a) Mehrere Behinderungen gehen ineinander auf: Der für die eine Behinderung festgesetzte GdB erhöht sich dann durch die weitere Behinderung nicht. |
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b) Auswirkungen von Behinderungen überschneiden sich. |
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c) Die Auswirkungen mehrerer Behinderungen verstärken sich. |
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d) Mehrere Behinderungen bringen völlig verschiedene funktionale Ausfälle mit sich und führen zu unabhängig voneinander bestehenden Störungen. |
In den Fällen b) – d) ist jeweils zu prüfen, inwieweit durch die weitere Funktionsbeeinträchtigung das Ausmaß der Behinderung größer wird und dementsprechend der für die erste Behinderung festgesetzte GdB zu erhöhen ist, wobei die Höhe des Gesamt-GdB davon abhängt, wie die Beeinträchtigungen sich in verschiedenen Lebensbereichen auswirken, aber nicht davon, ob sie verschiedenen ärztlichen Fachbereichen zuzuordnen sind (BSG, Urt. v. 16. 3. 1994 – 9 RVs 6/93, ferner VMG Teil A Nr. 3 Abs. b–d).
Nach Teil A Nr. 3c der VMG ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB i.d.R. von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt. Sodann ist im Hinblick auf alle weiteren Beeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.
Hinweis:
Die VMG Teil A Nr. 3 Abs. d.ee bestimmt, dass zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, führen – auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Nur ausnahmsweise soll etwas anderes gelten. Die VMG (a.a.O.) führen hierzu beispielhaft den Fall hochgradiger Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit an. Dieses Erhöhungsverbot in VMG Teil A Nr. 3 Abs. d.ee bzw. nach der gleichlautenden Vorgängerregelung in den AHP gilt nach der Rechtsprechung des BSG generell und entgegen anderer Auffassungen in der Literatur und in der Instanzrechtsprechung nicht nur dann, wenn sich mehrere Funktionsbeeinträchtigungen überschneiden und im Wesentlichen den gleichen Lebensbereich betreffen (BSG, Urt. v. 13.12.2000 – B 9 RVs 8/00). Ferner soll es nach Teil A Nr. 3 d.ee der VMG auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Einzel-GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt sein, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Die (Nicht-)Berücksichtigung von Einzel-GdB von 20 bei der Festsetzung des Gesamt-GdB führt häufig zu Kontroversen, so etwa dann, wenn Einzel-GdB von 30 und 20 bestehen. Stehen die Teilhabebeeinträchtigungen in diesen Fällen unabhängig nebeneinander und betreffen sie unterschiedliche Organsysteme, so soll ein Gesamt-GdB von 50 zutreffend sein (LSG Berlin-Brandenburg 7.12.2017 – L 13 SB 22/17) jedenfalls dann, wenn sich die Auswirkungen der Behinderungen untereinander negativ verstärken (LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 2.4.2016 – L 13 SB 228/14, s. auch die Ausführungen bei Wendler VMG/Anlage zu § 2 VersMedV, 9. Aufl., S, 39 ff.).