Behinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 SGB IX vorliegen, sollen schwerbehinderten Menschen (durch die Agentur für Arbeit, s.u.) gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz i.S.d. § 156 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können (§ 2 Abs. 3 SGB IX). Das BSG hat hierzu in zwei Entscheidungen vom 6.8.2014 seine Rechtsprechung weiterentwickelt (s. hierzu Bernzen, jM 2015, 19 ff.):
Hinsichtlich der Gleichstellung, um einen geeigneten Arbeitsplatz behalten zu können ("Behaltensalternative") hat es entschieden (B 11 AL 16/13 R), zwischen der Behinderung und der Erforderlichkeit der Gleichstellung müsse ein Ursachenzusammenhang bestehen, der – wie im gesamten Sozialrecht – nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu prüfen sei. Entscheidend sei, ob durch die Gleichstellung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Arbeitsplatz sicherer gemacht werden könne, was der Fall sei, wenn der behinderte Mensch angesichts der Anforderungen des Arbeitsplatzes infolge seiner Behinderung nicht mehr konkurrenzfähig ist. Einer konkret drohenden oder gar ausgesprochenen Kündigung bedarf es nicht, weil ansonsten die Gleichstellung regelmäßig zu spät käme. Soll die Gleichstellung erfolgen, um einen geeigneten Arbeitsplatz erlangen zu können ("Erlangensalternative") so ist es ausreichend, dass ein konkreter Arbeitsplatz angestrebt wird, auch wenn ein Arbeitsplatz bereits vorhanden ist (BSG v. 6.8.2014 – B 11 AL 5/14 R). Im konkreten Fall war die Klägerin im öffentlichen Dienst (mittlerer Dienst) vollzeitbeschäftigt und hatte sich um eine Stelle im gehobenen Dienst beworben. Der Arbeitgeber lehnte die Einstellung ab, da der Klägerin die hierzu erforderliche gesundheitliche Eignung fehle. Das hiergegen eingeleitete verwaltungsgerichtliche Verfahren war noch nicht abgeschlossen. Das BSG bejahte den Gleichstellungsanspruch und legt dar, auch unter Hinweis auf Art. 12 Abs. 1 GG und Vorschriften der UN-BRK, die Norm des § 2 Abs. 3 SGB IX wolle auch die Freiheit der Berufsauswahl schützen und einen diskriminierungsfreien Zustand anstreben. Auch der Zugang zu anderen bzw. der Wechsel von Berufsfeldern müsse diskriminierungsfrei ermöglicht werden. Das Berufungsgericht hatte hierzu fehlerfrei festgestellt, dass die Klägerin für den angestrebten Arbeitsplatz geeignet ist und auch, dass sie wegen ihrer Behinderung der Gleichstellung bedarf.
Die Gleichstellung geschieht mittels Feststellung auf Antrag des behinderten Menschen durch die Agentur für Arbeit (§ 151 Abs. 2 S. 1 SGB IX). Die Gleichstellung, die befristet werden kann (§ 151 Abs. 2 Satz 3 SGB IX), wird bereits mit dem Tag des Antragseingangs bei der Agentur für Arbeit wirksam (§ 151 Abs. 2 S. 2 SGB IX) und hat gem. § 151 Abs. 3 SGB IX grundsätzlich den vollen Schwerbehindertenschutz zur Folge, mit Ausnahme des Rechts auf Zusatzurlaub (§ 208 SGB IX) und auf unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr (§ 228 ff. SGB IX).
Gegen die Versagung der Gleichstellung kann der behinderte Mensch Widerspruch und ggf. Klage beim SG erheben. Den Arbeitgeber berechtigt weder die Ablehnung noch die Stattgabe des Gleichstellungsantrags zur Anfechtung. Nach der Rechtsprechung des BSG dienen die Vorschriften des Schwerbehindertenrechts allein dem Schutz der behinderten Menschen und nicht dem ihrer Arbeitgeber (BSG, Urt. v. 19.12.2001 – B 11 AL 57/01 R, BSGE 89, 119).
Hinweis:
Im Rahmen eines sozialgerichtlichen Streits mit der Bundesagentur für Arbeit (BA) über die Gleichstellung ist u.a. zu beachten (vgl. hierzu den instruktiven Fall: BSG, Urt. v. 2.3.2000 – B 7 AL 46/99 R, BSGE 86, 10):
- Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Voraussetzungen einer Gleichstellung ist in erster Linie der Zeitpunkt der Antragstellung, was aus § 151 Abs. 2 S. 2 SGB IX folgt. Da die Gleichstellung aber widerrufen, aufgehoben oder entzogen werden kann (§§ 199 Abs. 2, 200 Abs. 1 S. 2 SGB IX, §§ 47, 48 SGB X), müssen während eines gerichtlichen Verfahrens neben dem Sach- und Streitstand bei Antragstellung alle wesentlichen Änderungen der Sach- und Rechtslage bis zur letzten mündlichen Verhandlung Berücksichtigung finden. Dies ist geboten, weil die in § 151 Abs. 2 S. 2 SGB IX angeordnete Rückwirkung gleichermaßen voraussetzt, dass die Sach- und Rechtslage bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung eine Gleichstellung rechtfertigt und in der Folgezeit nicht die Voraussetzungen für eine Gleichstellung entfallen sind.
- Liegen die Voraussetzungen für eine Gleichstellung nach dem Gesetzeswortlaut vor, so muss diese erfolgen, es sei denn, es läge ein atypischer Fall vor. In dieser Weise ist di...