Im Mittelpunkt des Verwaltungsverfahrens steht regelmäßig die Bewertung der festgestellten Gesundheitsstörungen und Funktionsbeeinträchtigungen durch die vom Versorgungsamt beauftragten Ärzte. Das SGB IX stellt hierfür kein Bewertungssystem zur Verfügung.
Bis Ende 2008 nahm die Versorgungsverwaltung Rückgriff auf die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP, herausgegeben vom damaligen Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung), um die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen festzustellen. Die AHP erläuterten die Festsetzung des GdB (ebenso den Grad der Schädigungsfolgen – GdS – nach dem Entschädigungsrecht), des Gesamt-GdB und enthielt Tabellen, in denen Gesundheits- bzw. Funktionsstörungen bestimmten GdB/GdS-Sätzen zugerechnet werden. Sie beinhalteten ferner Angaben zur Feststellung der gesundheitlichen Merkmale, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind.
Das BSG betrachtet die AHP als antizipierte Sachverständigengutachten, denen zwar an sich keine Normqualität zukommt, die sich in der Verwaltungspraxis jedoch normähnlich auswirken. Das BVerfG hat zwar das Fehlen einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage ausdrücklich als Missstand bezeichnet (BVerfG, Beschl v. 6.3.1995 – 1 BvR 60/95, NJW 1995, 3049). Bis zum Vorliegen einer Rechtsgrundlage, die durch den Gesetzgeber zu erstellen sei, soll aber ein Eingreifen des Verfassungsgerichts noch nicht angezeigt sein, solange sich das BSG, wie bisher, nicht strikt an die AHP gebunden sehe und sie einer richterlichen Kontrolle unterziehe. Letzteres sei vor allem insoweit geboten, als sie im Einzelfall dem Gesetz widersprechen und mit dem gegenwärtigen Kenntnisstand der sozialmedizinischen Wissenschaft nicht vereinbar sowie eventuell unanwendbar sind, weil die besonderen, individuellen Verhältnisse einer besonderen Beurteilung bedürfen (BVerfG, a.a.O.).
Das BSG hat u.a. durch Urt. v. 18.9.2003 – B 9 SB 3/02 R – gerügt, die AHP seien immer noch nicht demokratisch legitimiert, jedoch von ihrer pauschalen Verwerfung abgesehen.
Der Gesetzgeber hat im Jahre 2007 mittels der Vorschrift des § 30 Abs. 17 BVG (jetzt: Abs. 16) das BMAS u.a. ermächtigt, durch Rechtsverordnung Grundsätze für die Feststellung des GdS aufzustellen. Von dieser Ermächtigung hat das Ministerium mit der Errichtung der "Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1BVG – VersMedV – vom 10.12.2008 (BGBl I S. 2412, in Kraft seit 1.1.2009) Gebrauch gemacht. § 69 Abs. 1 S. 5 SGB IX a.F. ordnete die entsprechende Anwendbarkeit der VersMedV an. In seiner Anlage zu § 2 übernimmt die VersMedV (abrufbar unter www.bmas.de) nahezu vollständig die bisherigen AHP. Diese sind nunmehr Bestandteil der VersMedV (Anlage zu deren § 2) und gelten als "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG) weiter. Die Anlage 2 der VersMedV, die VMG, enthält in Teil A allgemeine Grundsätze, in Teil B die GdS/GdB-Tabelle, in Teil C Ausführungen zur Begutachtung im sozialen Entschädigungsrecht und in Teil D Ausführungen zu den Merkzeichen. Für das Feststellungsverfahren nach § 152 SGB IX sind die Teile A, B und D von Bedeutung."
Da weiterhin für das Schwerbehindertenrecht Zweifel am Genügen der Ermächtigungsgrundlage in § 30 Abs. 16 BVG bestehen, sieht § 153 Abs. 2 SGB IX nunmehr eine Ermächtigungsgrundlage auch hier vor, die bislang nicht genutzt wurde. § 241 Abs. 5 SGB IX ordnet übergangsweise die Geltung des bisherigen Rechts an, also der VMG, bis eine Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen ist. Eine Kommentierung der VMG/Anlage zu § 2 VersMedV enthält der vom Sozialverband VdK Deutschland herausgegebene Kommentar von Wendler, 9. Aufl. 2018.
In Teil B der VMG werden einer Vielzahl von Gesundheitsstörungen GdS- bzw. GdB-Werte – ausdrücklich als Anhaltswerte – tabellarisch zugeordnet. Gesundheitsstörungen, die nicht aufgeführt sind, sind nach Teil B Nr. 1b in Analogie zu vergleichbaren Gesundheitsstörungen zu beurteilen.
Die Vorgaben der VMG machen jedoch eine Beweisaufnahme im Einzelfall, ggf. auch durch Sachverständigengutachten, nicht entbehrlich. Sie bilden als antizipierte Sachverständigengutachten "nur" den Maßstab dafür, ob und inwieweit der anhand des medizinischen Sachverhalts angenommene GdB den generellen Bewertungsgrundsätzen entspricht. Art und Ausmaß der Behinderung ist gutachtlich festzustellen. Erst dann kann gerichtlich geprüft werden, ob der auf der Grundlage des konkret ermittelten medizinischen Sachverhalts geschätzte GdB sich im Rahmen der Bewertungsgrundsätze der VMG bewegt (s. LSG Bayern, Urt. v. 27.10.1999 – L 18 SB 48/98, Rn 27, zu den AHP). Zur Bedeutung von Begutachtungsempfehlungen und antizipierten Sachverständigengutachten im Sozialrecht s. Siefert, ASR 2011,45.
Zur Bestimmung des GdB nach den VGM bei einzelnen Krankheitsbildern s. Münchener Anwaltshandbuch (MAH) Sozialrecht/Schröder, 5. Aufl., 2017 § 29, Rn 85 ff.