Wenn der Betroffene die Fahrereigenschaft bestreitet und der Richter nur unter Zuhilfenahme eines anthropologischen Sachverständigen zuverlässig klären kann, ob der Betroffene der Fahrzeugführer war, so ist die Beauftragung eines Gesichtsgutachters unumgänglich. Wenn der Richter dagegen mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen kann, dass der Betroffene der Fahrzeugführer war, so kann er auch ohne Gesichtsgutachten freisprechen (Fromm, NZV 2018, 161).
Das Vergleichsgutachten basiert auf der Merkmalsvielfalt des menschlichen Körpers (Gesichts- und Ohrmerkmale sowie Handkriterien), da gerade die Variabilität einzelner Formprägungen an einer Person als individuell und in ihrer Kombination als einmalig bezeichnet werden können. Hinsichtlich der wissenschaftlichen Methode wird nach dem Ausschlussprinzip nach Merkmalsabweichungen bei den zu vergleichenden Personen gesucht.
Hinweis:
Bei der Erstellung eines anthropologischen Identitätsgutachtens handelt es sich nicht um eine standardisierte Untersuchungsmethode; um dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung der gedanklichen Schlüssigkeit des Gutachtens und seines Beweiswerts zu ermöglichen, bedarf es daher über’die Aufzählung der mit dem Foto übereinstimmenden morphologischen Merkmalsprägungen des Betroffenen hinausgehender Angaben sowie Angaben zur Untersuchungsmethodik (OLG Jena, Beschl. v.’16.5.2006 – 1 Ss 106/06).
Der anthropologischen Beurteilung zur Frage des Ausschlusses der Identität liegt ein Bewertungsschema zugrunde, das sich des Begriffs der "Wahrscheinlichkeit" bedient. Bei diesen Wahrscheinlichkeitsstufen handelt es sich nicht um eine rein mathematische Berechnung, sondern um eine Bewertungsklassifizierung, deren Grundlage die Erfassbarkeit der Merkmalsprägungen darstellt (Schott, NZV 2011, 169). Es gibt folgende Wahrscheinlichkeitsstufen (Schott, NZV 2010, 286):
- Ausschluss der Identität,
- Zweifel an der Identität,
- Identität nicht auszuschließen,
- Identität wahrscheinlich,
- Identität mit sehr großer Wahrscheinlichkeit und
- Identität mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit.
Hinweis:
Bei Fragen der Identität im Zusammenhang mit Ordnungswidrigkeitenverfahren wird seitens der Verteidiger bei Gerichten häufig die Erstellung eines Identitätsgutachtens zum Beweis der Tatsache beantragt, dass keine Identität eines Fahrers mit dem Mandanten (Betroffenen) besteht. So hat es sich in’vielen Fällen herausgestellt, dass zwar augenscheinlich eine sehr große Ähnlichkeit zwischen einem Fahrer und einem Betroffenen (Halter des Fahrzeugs) besteht, jedoch aufgrund eines Identitätsgutachtens die Nicht-Identität ermittelt werden konnte (Schott, NZV 2011, 169).