Zusammenfassung
Die Pandemie hat es offenbart: Das BetrVG ist überholungsbedürftig. Das Gesetz zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit in einer digitalen Arbeitswelt (Betriebsrätemodernisierungsgesetz, BGBl Jahrgang 2021 Teil I Nr. 32, S. 1762 vom 17.6.2021) soll das BetrVG modernisieren. Es lässt sich grob in zwei Stoßrichtungen aufteilen: zum einen sollen Initiativen zu Betriebsratswahlen vereinfacht und die Organisation der Betriebsratsarbeit an moderne Zeiten angepasst werden. Die zweite Stoßrichtung beschäftigt sich mit der zunehmenden digitalen Ausgestaltung der Arbeitswelt. Hier sollen die Initiativrechte der Betriebsräte bei der Berufsbildung gestärkt und die Einschaltung der Einigungsstelle zur Vermittlung ermöglicht werden. Außerdem wird ein Beteiligungsrecht des Betriebsrats bei der Einführung von Künstlicher Intelligenz (KI) geschaffen.
I. Erleichterungen zur Betriebsratswahl
1. Vereinfachtes Wahlverfahren in Kleinbetrieben
§ 14a BetrVG sieht ein vereinfachtes Wahlverfahren in kleineren Betrieben vor. Um Betriebsratsgründungen zu erleichtern, weitet der neugefasste § 14a BetrVG das vereinfachte Wahlverfahren verbindlich auf Betriebe mit bis zu 100 Arbeitnehmern aus (bisher: 50 Arbeitnehmer). Das vereinfachte Wahlverfahren können der Wahlvorstand und der Arbeitgeber vereinbarungsgemäß auch in Betrieben mit 101 bis 200 Arbeitnehmer übernehmen, § 14a Abs. 5 BetrVG. Das aktive Wahlrechtsalter wurde von 18 auf 16 herabgesetzt, § 7 S. 1 BetrVG. Das passive Wahlrechtsalter besteht aber erst ab dem vollendeten 18. Lebensjahr, § 8 Abs. 1 S. 1 BetrVG.
2. Erleichterungen bei Unterstützungsunterschriften
Fake-Wahlvorschläge sollen verhindert werden. Daher sieht § 14 Abs. 4 BetrVG Unterstützungsunterschriften für Wahlvorschläge vor. Um diese Hürde für kleine Betriebe zu beseitigen bzw. zu erleichtern, sieht das Betriebsrätemodernisierungsgesetz im neuen § 14 Abs. 4 BetrVG nunmehr vor, dass es in Betrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern keinerlei derartiger Unterschriften mehr bedarf. In Betrieben mit 21 bis 100 Arbeitnehmern genügen jetzt bereits zwei Unterzeichnungen. In die Berechnung dieser Arbeitnehmerzahlen werden nur diejenigen Beschäftigten gezählt, die aufgrund ihres Alters und Betriebszugehörigkeit wahlberechtigt sind.
3. Eingeschränktes Anfechtungsrecht
Ein neuer § 19 Abs. 3 BetrVG begrenzt das Anfechtungsrecht von Betriebsratswahlen durch wahlberechtigte Arbeitnehmer: Es ist ausgeschlossen, wenn trotz unrichtiger Wählerliste zuvor kein ordnungsgemäßer Einspruch gegen diese Wählerliste eingelegt wurde. Das letztere gilt nicht, wenn man daran gehindert wird, den Einspruch einzulegen. Der Arbeitgeber kann die Wahl wegen einer unrichtigen Wählerliste nicht anfechten, wenn die unrichtige Wählerliste auf seinen Angaben beruht.
Hinweis:
Da hierfür i.d.R. die Personalabteilung die Daten zur Verfügung stellt, trägt der Arbeitgeber auch für deren Richtigkeit die Verantwortung.
4. Kündigungsschutz für Initiatoren einer Betriebsratswahl
Zur Erleichterung von Betriebsratswahlen gehört auch ein verbesserter Kündigungsschutz der Initiatoren einer ersten Betriebsratswahl. Nach § 15 Abs. 3a KSchG umfasst der Sonderkündigungsschutz bisher die ersten drei in der Einladung zur Wahlversammlung genannten Beschäftigten. Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz erweitert diese Zahl nunmehr auf sechs, damit der Wahlvorstand auch funktionsfähig bleibt, wenn ein Mitglied z.B. krankheitshalber ausfällt.
Auch Akteure im Vorfeld einer Betriebsratswahlinitiative können nun in den Genuss eines Sonderkündigungsschutzes kommen. Dafür setzt der neue § 15 Abs. 3b KSchG voraus, dass entsprechende Vorbereitungshandlungen unternommen werden und der/die betreffende Arbeitnehmer/-in eine öffentlich beglaubigte Erklärung abgibt, dass er/sie die Absicht hat, einen Betriebsrat zu gründen. Dieser besondere Kündigungsschutz gilt ab der Abgabe der Erklärung, jedoch nur für ordentliche personen- bzw. verhaltensbedingte Kündigungen. Der Sonderkündigungsschutz für diese Initiatoren einer Betriebsratswahl hält max. drei Monate.
Hinweis:
Außerordentliche, aber auch betriebsbedingte Kündigungen sind davon nicht umfasst.
Ergänzend sieht der neue Abs. 2a des § 103 BetrVG ein arbeitsgerichtliches Zustimmungsersetzungsverfahren auch für z.B. Wahlinitiatoren vor, obwohl ein Betriebsrat noch nicht gebildet ist.
II. Organisation der Betriebsratsarbeit
Die bis zum 30.6.2021 gültige Vorschrift des § 129 BetrVG, der wegen der Corona-Pandemie virtuelle Betriebsratssitzungen erlaubte, wird vom neuen § 30 BetrVG abgelöst.
Präsenzsitzungen sollen nach § 30 Abs. 1 S. 5 BetrVG zwar die Regel bleiben. Unter bestimmten Bedingungen können Sitzungen aber auch online durchgeführt werden. Hierzu setzt § 30 Abs. 2 BetrVG voraus, dass der Betriebsrat eine Geschäftsordnung mit den Rahmenbedingungen für Video- und Telefonkonferenzen erlässt. Darin ist der Vorrang von Präsenzsitzungen festzuhalten. Wenn ein Viertel der Betriebsratsmitglieder einer Online-Sitzung innerhalb einer vom Betriebsratsvorsitzenden zu bestimmenden Frist widerspricht, ist die digitale Form der Sitzung unzulässig. Der Widerspruch ist an den Betriebsratsvorsitzenden zu richten. Außerdem ist sicherzustellen, dass die Aufzeichnung einer digitalen Sitzung unterbleibt und Dritte vom Inhalt de...