Das Gesetz sieht in § 1671 BGB folgende Möglichkeiten der Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf einen Elternteil vor.
a) Gerichtliche Entscheidung bei Einverständnis des anderen Elternteils, § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB
Ist der andere Elternteil einverstanden mit der Übertragung des alleinigen Sorgerechts, so ist dennoch eine gerichtliche Entscheidung erforderlich, denn das Sorgerecht ist für Eltern nicht disponibel. Die Vereinbarung der Eltern ist nur Grundlage einer entsprechenden gerichtlichen Gestaltungsentscheidung (OLG Stuttgart, Beschl. v. 4.3.2014 – 11 UF 42/14, FamRZ 2014, 1653). Widerspricht das über 14 Jahre alte Kind, so muss das Gericht nicht zwingend vom Vorschlag der Eltern abweichen, sondern ist nur zu einer umfassenden Kindeswohlprüfung nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB verpflichtet.
b) Gerichtliche Entscheidung bei fehlendem Einverständnis des anderen Elternteils, § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB
Gemäß § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB ist dem Antrag eines Elternteils auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge ohne Zustimmung des anderen Elternteils stattzugeben, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und die Übertragung auf einen Elternteil dem Kindeswohl am besten entspricht. Im familiengerichtlichen Verfahren nimmt das Gericht folglich eine zweistufige Kindeswohlprüfung vor:
- In der ersten Stufe ist zu klären, ob die Aufrechterhaltung des gemeinsamen Sorgerechts dem Kindeswohl am besten entspricht oder die Aufhebung der gemeinsamen Sorge vorzuziehen ist.
- Wird die Aufhebung bejaht, ist in der zweiten Stufe zu entscheiden, welcher Elternteil besser geeignet ist, in Zukunft die alleinige elterliche Sorge zu übernehmen.
aa) 1. Stufe: Dient die alleinige elterliche Sorge dem Kindeswohl?
Zu prüfen ist hier
- inwieweit beide Eltern uneingeschränkt zur gemeinsamen Pflege und Erziehung des Kindes geeignet sind,
- ob ein gemeinsamer Wille zur Kooperation besteht und
- ob keine sonstigen Gründe vorliegen, die es im Interesse des Kindeswohls gebieten, das Sorgerecht nur einem Elternteil zu übertragen.
In Fällen, in denen die gemeinsame elterliche Sorge praktisch nicht „funktioniert” und es den Eltern nicht gelingt, zu gemeinsamen Entscheidungen im Interesse des Kindes zu gelangen, ist der Alleinsorge eines Elternteils den Vorzug gegenüber dem Fortbestand der gemeinsamen Sorge zu geben (BGH, Beschl. v. 11.5.2005 – XII ZB 33/04, FamRZ 2005, 1167; BGH, Beschl. v. 29.9.1999 – XII ZB 3/99, FamRZ 1999, 1646; OLG Köln, Beschl. v. 11.10.2010 – 4 UF 130/10, FamRZ 2011, 490). Denn die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung, die sich als oberste Richtschnur an dem so verstandenen Kindeswohl auszurichten hat (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG), setzt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus und erfordert daher ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen (BVerfG, Kammerbeschl. v. 18.12.2003 – 1 BvR 1140/03, FamRZ 2004, 354 f.; OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.8.2017 – 16 UF 139/17, FamRZ 2018, 354). Zentrale Bedeutung gewinnen damit – objektive – Kooperationsfähigkeit und – subjektive – Kooperationsbereitschaft der Eltern (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 10.6.2020 – 20 UF 14/20, FamRZ 2020, 1930; OLG Köln, Beschl. v. 28.6.2012 – II-4 UF 91/12, FamRZ 2013, 47; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 5.1.2004 – 9 UF 133/03, OLGR 2004, 155; OLG Frankfurt, Beschl. v. 30.12.1998 – 6 UF 124/98, FamRZ 1999, 612 f.; KG, Beschl. v. 21.9.1999 – 17 UF 4806/99, FamRZ 2000, 502 f.). Ein fehlender Grundkonsens zwischen den Eltern, der zu ständigen Auseinandersetzungen geführt hat (OLG Schleswig, Beschl. v. 21.10.2020 – 13 UF 123/20, juris) und auch in Zukunft weitere Streitigkeiten befürchten lässt (OLG Brandenburg, Beschl. v. 12.5.2020 – 13 UF 10/20, ZAP EN-Nr. 361/2020), hat ebenso Bedeutung wie die starke Belastung der Kinder durch erhebliche Streitigkeiten der Eltern und die mangelnde Eignung zur Erziehung.
Vielfach wird auch auf eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern abgestellt (BVerfG v. 4.8.2015 – 1 BvR 1388/15, NZFam 2015, 1026; BGH v. 15.6.2016 – XII ZB 419/15, FamRZ 2016, 1439; OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.7.2015 – 10 UF 209/14, NZFam 2016, 557; OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.7.2016 – 10 UF 8/16, NZFam 2016, 808; OLG Brandenburg, Beschl. v. 3.8.2015 – 13 UF 190/14, FamRZ 2016, 240, OLG Hamm, Beschl. v. 24.11.2015 – II-14 UF 156/15, juris, OLG Brandenburg, Beschl. v. 9.12.2014 – 10 UF 194/13, FamRZ 2015, 1304; OLG Celle, Beschl. v. 4.1.2018 – 10 UF 126/16, FamRZ 2018, 1516).
Bei bestehender gemeinsamer Sorge und beantragter Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf einen Elternteil bedarf es in jedem Fall eines konkreten Sachvortrags dazu, dass und bei welchem Anlass und auf welche Weise der das alleinige Sorgerecht erstrebende, betreuende Elternteil sich bemüht hat, mit dem anderen Elternteil ein vernünftiges, sachbezogenes Gespräch zu führen, hierbei jedoch an dessen Verweigerungshaltung gescheitert ist (OLG Köln, Beschl. v. 26.3.2015 – II-26 UF 21/15, FamRZ 2015, 2180; OLG Hamm, Beschl. v. 28.5.2004 – 11 UF 73/04). Dagegen reicht die bloße örtliche Entfernung zwischen den Wohnsitzen der Eltern im Zeitalter von Handy, Fax und E-Mail nicht aus (OLG Naumburg, Beschl. v. 23.7.2001 – 14 UF 36/01, FamRZ 2002, 564; OLG Hamm, Beschl. v. 13.9.2001 – 3 UF ...