Hinweis:
Mit der männlichen Formulierung "Anwalt" ist nachfolgend immer zugleich die "Anwältin" gemeint. Der Verfasser hat davon Abstand genommen, durch gleichstellungsgerechte Formulierungen wie "der familienrechtlich tätige Anwalt und die familienrechtlich tätige Anwältin" die Lesbarkeit des Aufsatzes zu beeinträchtigen.
I. Einleitung
Streitige Sorge- und Umgangsrechtsverfahren gehören zu den speziellen Herausforderungen für den familienrechtlich tätigen Anwalt.
Materielles Recht ist hier intensiv mit verfahrensrechtlichen Aspekten verwoben. Neben juristischen Spezialkenntnissen ist aber gerade in Kindschaftsverfahren auch die Fähigkeit gefragt, zuzuhören; es wird großes Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl benötigt, aber auch viel Zeit! Jedoch bieten die geringen Verfahrenswerte meist keinen angemessenen Ausgleich für den bei einer professionellen Sachbehandlung erforderlichen Aufwand.
Hinweis:
Wichtig ist daher, dass der beratende Anwalt seine professionelle Grundeinstellung nicht verliert und den nötigen Abstand behält zu dem subjektiven, vielfach sehr emotional gefärbten und oft auch sehr einseitigen Blickwinkel der Eltern. Oft besteht nur ein schmaler Grat zwischen sachgerechter anwaltlicher Interessenwahrnehmung und einer unkritischen Instrumentalisierung durch die eigene Partei.
Ziel aller Maßnahmen muss es daher sein, die vorhandenen Konflikte abzubauen und die Eltern unterstützend in die Lage zu versetzen, die mit den Kindern zusammenhängenden Fragen – auch bei Meinungsverschiedenheiten in anderen Bereichen – auf Dauer eigenständig und damit ohne anwaltliche und gerichtliche Hilfe zu regeln.
Praxistipp:
Es gilt also die Grundregel: Eine Deeskalation ist gefordert, nicht weitere Eskalation!
Dabei sind Sorge- und Umgangsrechtsverfahren v.a. auch als dynamische Entwicklungen zu verstehen, die nicht zwingend im ersten gerichtlichen Termin abschließend entschieden werden müssen, sondern die von allen Beteiligten aktiv gestaltet und nach und nach positiv gestaltet werden können. Besser als eine vorschnelle, aber schlechte endgültige Entscheidung ist demnach eine gute – also von den Beteiligten akzeptierte – Übergangslösung, die anschließend zu einer dauerhaften Lösung fortentwickelt werden kann!
Hinweise:
- In der Praxis ist die frühzeitige Einschaltung des Jugendamtes sehr hilfreich, da oft bereits eine erfolgreiche Vermittlung durchgeführt und ein einvernehmlicher Vorschlag der Eheleute vorbereitet wird.
- Im Ergebnis ist es auch wenig sinnvoll, mit großem Einsatz eine noch so gut begründete und formaljuristisch korrekte Entscheidung des Gerichts zu erstreiten, die aber letztlich absolut nutzlos bleibt, weil die Beteiligten sie nicht akzeptieren.
II. Elterliche Sorge
1. Gemeinsames Sorgerecht beider Eltern
Das Recht der elterlichen Sorge steht verheirateten Eltern kraft Gesetzes gemeinsam zu. Gerichtliche Entscheidungen über das Sorgerecht sind nur im Falle einer Trennung oder Scheidung praxisrelevant (s.u. S. 859).
Bei nicht verheirateten Eltern stellt sich erst einmal die Frage, ob gemeinsame elterliche Sorge hinsichtlich der gemeinsamen Kinder besteht bzw. wie diese begründet werden kann (s.u. S. 864). Trennen sich die unverheirateten Eltern, gilt ein bestehendes gemeinsames Sorgerecht ebenfalls fort. Aber auch hier kann eine gerichtliche Entscheidung über das Sorgerecht erforderlich werden.
Leben die Eltern des Kindes getrennt und lebt das Kind bei einem Elternteil (der Sonderfall des Wechselmodells wird in diesem Beitrag nicht behandelt), hat damit dieser Elternteil auch die alleinige Entscheidungskompetenz über die Angelegenheiten des täglichen Lebens (§ 1687 Abs. 1 S. 2 BGB). Dagegen ist für Regelungen, die für das Kind von erheblicher Bedeutung sind, bei gemeinsamem Sorgerecht das Einverständnis des anderen Elternteils erforderlich (§ 1687 Abs. 1 S. 1 BGB; s.u. S. 859ff.).
2. Inhalt des Sorgerechts
Das Sorgerecht umfasst die Personen- sowie die Vermögenssorge (§ 1626 Abs. 1 BGB) einschließlich der gesetzlichen Vertretung des Kindes auch in gerichtlichen Verfahren (§ 1629 BGB). Die – praktisch meist nur relevante – Personensorge umfasst nach § 1631 Abs. 1 BGB v.a. die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen. Dagegen sind Streitigkeiten über die in §§ 1638 ff. BGB geregelte Vermögenssorge in der Gerichtspraxis Ausnahmefälle.
3. Aufenthaltsbestimmungsrecht
Die elterliche Sorge berechtigt, den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen, also ggf. festzulegen, bei welchem Elternteil das Kind leben soll.
4. Gerichtliche Streitigkeiten über Aufhebung des gemeinsamen Sorgerechts nach Trennung der Eltern
Nach Trennung und Scheidung der verheirateten Eltern besteht folglich kraft Gesetzes die gemeinsame elterliche Sorge über die gemeinschaftlichen Kinder fort. Dies kann nach § 1671 BGB nur auf Antrag eines Elternteils (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 5.11.2018 – 6 UF 82/18, FamRZ 2019, 985) vom Familiengericht aufgehoben werden.
5. Gerichtliche Regelungen des Sorgerechts
Das Gesetz sieht in § 1671 BGB folgende Möglich...