Nach den §§ 355, 312g BGB steht einem Verbraucher bei einem aufgrund der systemischen Verwendung von Telekommunikationsmitteln dem Fernabsatzgesetz unterfallenden Vertrag oder einem außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers geschlossenen Vertrag ein 14-tägiges Widerrufsrecht zur Seite. Einer Begründung für den Widerruf bedarf es dabei seitens des Verbrauchers nicht.
Widerruft der Verbraucher den Vertrag, wird er grds. von der Vergütungspflicht befreit. Eine Rückgewähr erbrachter Leistungen des Unternehmers findet ebenfalls nicht oder nur eingeschränkt statt. Fehlt es an einer Belehrung über das Widerrufsrecht, verlängert sich die Widerrufsfrist sogar auf ein Jahr nach Vertragsabschluss.
Die durch das höchste europäische Gericht getroffene Entscheidung sollte daher nicht überraschen. Allerdings gibt sie für die Anwaltschaft aktuellen Anlass, die eigenen Belehrungspflichten und Belehrungspraktiken kritisch zu hinterfragen.
Der Anwaltsvertrag ist nämlich ein Verbrauchervertrag gem. § 310 Abs. 3 BGB. Der Rechtsanwalt ist insoweit Unternehmer i.S.v. § 14 BGB, da er geschäftsmäßig gegen Entgelt Rechtsberatung erbringt. Je nach Konstellation der Vertragsanbahnung können Mandate den Vorschriften des Fernabsatzgesetzes nach § 312c BGB oder des Außergeschäftsraumvertrags nach § 312b BGB unterfallen. Insoweit hat der Rechtsanwalt/die Rechtsanwältin bei Verbrauchern zwingend bei Mandatsübernahme auf deren Widerrufsrecht nach den §§ 312g Abs. 1, 355 BGB hinzuweisen. Ansonsten droht bei Widerruf des Anwaltsvertrags der Verlust jeglicher Gebührenansprüche.
Für den Anwaltsvertrag ist die Anwendung des Fernabsatzgesetzes bereits ausdrücklich und wiederholt in der Vergangenheit durch den Bundesgerichtshof bestätigt worden (BGH, Urt. v. 21.10.2004 – III ZR 380/03, BGHZ 160, 393, 399; Urt. v. 12.11.2015 – I ZR 168/14, WM 2016, 968 Rn 30 m.w.N.; Urt. v. 23.11.2017 – IX ZR 204/16, ZIP 2018, 279; Urt. v. 17.10.2018 – VIII ZR 94/17, NJW 2019, 303 Rn 21). Nutzt der Rechtsanwalt für den Abschluss des Anwaltsvertrags Fernkommunikationsmittel, ist insoweit nach der Rechtsprechung anzunehmen, dass auch ein Fernabsatzvertrag vorliege. Indizien für den Anwendungsfall des Fernabsatzgesetzes können zudem der Internetauftritt der Kanzlei, mit der Möglichkeit der direkten Kontaktaufnahme per Kontaktformular, oder ein deutschlandweiter Adressatenkreis der beworbenen Anwaltsdienstleistung sein (BGH, Urt. v. 19.11.2020 – IX ZR 133/19, AnwBL 2021, 104 f. = ZAP EN-Nr. 21/2021 [Ls.]).
Für die Frage der systemischen Nutzung als ergänzende Voraussetzung eines Fernabsatzvertrags ist dabei der Rechtsanwalt im Zweifel beweispflichtig. Der Rechtsanwalt muss darlegen, dass er keines für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem vorhält. Der Schutzzweck des Fernabsatzrechts stelle nämlich nach der Rechtsprechung gerade auf die Gefahren ab, die durch die systematische Nutzung von Fernkommunikationsmitteln für Verbraucher bei Vertragsverhandlungen und Vertragsabschluss bestehen. Anbieter und Verbraucher begegneten sich in diesen Fallkonstellationen nicht physisch. Die angebotene Dienstleistung könne daher durch den Verbraucher nicht tatsächlich beurteilt werden, sodass die Gefahr von Fehlentscheidungen auf Verbraucherseite bestehe.
Die Kritik an dieser Rechtsauffassung setzt bei der Annahme der Beurteilungsfähigkeit der anwaltlichen Dienstleistung durch Verbraucher bei physischem Kontakt an. Ob sich Verbraucherinnen und Verbraucher im Rahmen einer Mandatserteilung in der Kanzlei des betroffenen Rechtsanwalts tatsächlich ein genaueres Bild von der angebotenen Dienstleistung machen können, darf bezweifelt werden. Möglicherweise wird das Auftreten des Rechtsanwalts im Gespräch oder der Eindruck der Kanzlei die Entscheidung zur Mandatserteilung beeinflussen können. Ob hieraus aber ein Rückschluss auf die Qualität der Dienstleistung, denn hierauf dürfte es für den Verbraucherschutz wohl ankommen, zu ziehen ist, erscheint fraglich. Aus diesem Grund ist die derzeit rein formalistische Betrachtung über die Belehrungspflicht, bei deren Fehlen und Widerruf Rechtsfolge der Wegfall des Gebührenanspruches ist, kaum verhältnismäßig (vgl. Wendehorst, NJW 2023, 2155 f.).
Entsprechendes gilt auch für die Belehrungspflicht bei Mandatsabschluss außerhalb der Kanzleiräume. Auch insoweit wäre der Mandant über ein Widerrufsrecht zu belehren. Die Entscheidung des EuGH kann insoweit sogar unmittelbar herangezogen werden.
Da im Falle des Widerrufs der Verbraucher nicht zur Zahlung der Anwaltsvergütung verpflichtet ist, verliert der Rechtsanwalt seinen Gebührenanspruch. Der Rechtsanwalt kann aber auch nicht einfach die Widerrufsfrist abwarten, bis er seine Tätigkeit entfaltet. Berufsrechtlich dürfte ein solches Verhalten nämlich den Tatbestand der „anwaltlichen Untätigkeit” verwirklichen. Zudem könnte dem Mandanten aufgrund der Untätigkeit ein Schaden entstehen, für welchen der Rechtsanwalt wegen schuldhafter Nichtleistung einstandspflichtig wäre. Diesbezüglich k...