Die Vorschriften der §§ 17 und 18 KSchG zur Massenentlassung erweisen sich, wie nicht zuletzt die gerichtlichen Entscheidungen der jüngsten Vergangenheit belegen (BAG, Urt. v. 13.2.2020 – 6 AZR 146/19 "Air Berlin", ZAP EN-Nr. 349/2020), immer öfter als Stolperstein ersten Grades (vertiefend Seidel/Wagner, BB 2018, 692).
Die Freiheit des Arbeitgebers oder eines hinter ihm stehenden Dritten, zu entscheiden, ob und zu welchem Zeitpunkt Massenentlassungen erfolgen sollen, wird durch die Massenentlassungsrichtlinie (kurz: MERL) EGRL 59/98, deren Umsetzung § 17 Abs. 2 KSchG dient, nicht beschränkt. Die MERL bezweckt nur eine Teilharmonisierung. Sie überlässt es dem nationalen Recht, die materiell-rechtlichen Voraussetzungen festzulegen, unter denen der Arbeitgeber ggf. Massenentlassungen vornehmen kann oder nicht. Deshalb kann eine über das nach dem KSchG vorgesehene Maß hinausgehende Kontrolle der unternehmerischen Entscheidung nicht mittelbar über das Konsultationsverfahren erzwungen werden. Das gilt unabhängig davon, ob die Entscheidung "aus freien Stücken" von dem Vertragsarbeitgeber getroffen oder ob sie ihm von einem beherrschenden Unternehmen "diktiert" wird (BAG, Urt. v. 26.10.2017 – 2 AZR 298/16, ZAT 2017, 197). Durch die MERL und die sie begleitende Rechtsprechung des EuGH (vgl. etwa EuGH, Urt. v. 27.1.2005 – C-188/03 "Junk", NZA 2005, 213) rückt aber zusehends der individuelle Schutz der betroffenen Arbeitnehmer in den Fokus. Der Geltungsvorrang europäischen Rechts bei der Auslegung nationalen Rechts (§ 17 KSchG) führt dabei zu einem teilweise völlig neuen Verständnis einzelner Regelungen i.R.d. Verfahrens der Massenentlassung (Kündigungserklärung = Entlassung). Komplex und fehleranfällig ist die Bestimmung der Schwellenwerte nach § 17 Abs. 1 KSchG, da erhebliche Rechtsunsicherheiten bestehen, was ("vom Arbeitgeber veranlasste Beendigungen des Arbeitsverhältnisses" = ordentliche betriebsbedingte Beendigungs- und Änderungskündigungen, Aufhebungsverträge, Eigenkündigungen, dreiseitige Überleitungsverträge) und wer (Fremd-Geschäftsführer, Praktikanten, Leiharbeitnehmer) mitgezählt wird. Auch die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Entlassung ist für die rechtssichere Bestimmung des 30-Tage-Zeitraums und die Berechnung der erfassten Entlassungstatbestände von entscheidender Bedeutung (zum Ganzen Seidel/Wagner, BB 2018, 692).
Die nach § 17 Abs. 1 KSchG erforderliche Massenentlassungsanzeige kann erst dann wirksam erstattet werden, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt ihres Eingangs bei der Agentur für Arbeit bereits zur Kündigung entschlossen ist. Kündigungen im Massenentlassungsverfahren sind daher – vorbehaltlich der Erfüllung sonstiger Kündigungsvoraussetzungen – wirksam, wenn die ordnungsgemäße Anzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingeht, bevor dem Arbeitnehmer das Kündigungsschreiben zugegangen ist. Das Konsultationsverfahren soll dem Betriebsrat ermöglichen, konstruktive Vorschläge unterbreiten zu können, um die Massenentlassung zu verhindern oder jedenfalls zu beschränken bzw. die Folgen einer Massenentlassung durch soziale Begleitmaßnahmen zu mildern. Hingegen dient das Anzeigeverfahren gegenüber der Bundesagentur für Arbeit vornehmlich beschäftigungspolitischen Zwecken. Die Agentur soll rechtzeitig über eine bevorstehende Massenentlassung unterrichtet werden, um sich auf die Entlassung einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern vorbereiten und ihre Vermittlungsbemühungen darauf einstellen zu können. Diese Unterschiede des Konsultations- und des Anzeigeverfahrens sind in den Vorgaben der EGRL 59/98 (MERL) angelegt. Nach dem Verständnis des EuGH ist die Anzeigepflicht zu erfüllen, bevor der Arbeitgeber durch die Mitteilung der Kündigung seiner Entscheidung, das Arbeitsverhältnis zu beenden, Ausdruck gegeben hat (EuGH, Urt. v. 27.1.2005 – C- 188/03, a.a.O.), nicht aber, bevor der Arbeitgeber seinen Kündigungsentschluss abschließend gefasst hat. Interne Willensbildungsprozesse spielen insoweit keine Rolle (BAG, Urt. v. 13.6.2019 – 6 AZR 459/18, NZA 2019, 1638).
Das Konsultationsverfahren ist vor Folgekündigungen dann noch einmal durchzuführen, wenn abermals ein Massenentlassungstatbestand vorliegt und (noch) eine beteiligungsfähige Arbeitnehmervertretung besteht. Der Arbeitgeber unterliegt im Konsultationsverfahren keinem Einigungszwang. Es reicht aus, wenn er mit dem ernstlichen Willen zur Einigung in die Verhandlungen mit dem Betriebsrat geht und ggf. bereit ist, dessen abweichende Vorschläge ins Kalkül zu ziehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Dem steht nicht entgegen, dass der Arbeitgeber die Vermeidung oder Einschränkung von Entlassungen von bestimmten Bedingungen abhängig macht. Auch eine absolute Verhandlungs(mindest)dauer ist weder nach nationalem noch nach Unionsrecht vorgeschrieben. Die Konsultationen sind ohne Einigung der Betriebsparteien beendet, wenn der Arbeitgeber annehmen darf, es bestehe kein Ansatz für weitere, zielführende Verhandlungen. Dem Arbeitgeber kommt in diese...