Zusammenfassung
Hinweis:
Der Beitrag ist in zwei Teile aufgeteilt: Teil 1 behandelt die Voraussetzungen der betriebsbedingten Kündigung sowie die Kündigungserklärung, die Kündigungsfrist, Sonderkündigungsschutztatbestände sowie die diversen Konstellationen des Kündigungsgrunds (Teil 1 des Beitrags ist in ZAP 2020, S. 867 ff./F. 17, S. 1415 ff. erschienen). In Teil 2 stellt der Verf. nachfolgend die außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit Auslauffrist, die betriebsbezogene Sozialauswahl, den Interessenausgleich, Auswahlrichtlinien sowie die Voraussetzungen der Massenentlassung und die Kurzarbeit vor.
IX. Außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit Auslauffrist
Eine auf betriebliche Gründe gestützte außerordentliche Kündigung kommt in Betracht, wenn die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung ausgeschlossen ist und dies dazu führt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer andernfalls trotz Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit noch für Jahre vergüten müsste, ohne dass dem eine entsprechende Arbeitsleistung gegenüberstünde. Der Arbeitgeber ist im Fall einer auf betriebliche Gründe gestützten außerordentlichen Kündigung in besonderem Maß verpflichtet, zu versuchen, die Kündigung durch geeignete andere Maßnahmen zu vermeiden. Besteht irgendeine Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis sinnvoll fortzuführen, wird er den Arbeitnehmer i.d.R. entsprechend einzusetzen haben. Erst wenn sämtliche denkbaren Alternativen ausscheiden, kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegen (BAG, Urt. v. 27.6.2019 – 2 AZR 50/19, NZA 2019, 1345). Den hohen materiell-rechtlichen Anforderungen an das Vorliegen eines wichtigen Grundes i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB entsprechen die prozessualen Anforderungen an den Umfang der Darlegungen des Arbeitgebers. Dieser hat von sich aus darzutun, dass keinerlei Möglichkeit besteht, das Arbeitsverhältnis – ggf. zu geänderten Bedingungen und nach entsprechender Umschulung – sinnvoll fortzusetzen. Das Fehlen jeglicher Beschäftigungsmöglichkeit zählt bei der außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung zum "wichtigen Grund" (BAG, Urt. v. 18.6.2015 –2 AZR 480/14, NZA 2015, 1315).
X. Betriebsbezogene Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG)
Die betriebsbezogene Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG stellt bei einer ordentlichen Kündigung zwingendes Recht dar. Sie kann weder durch einzelvertragliche noch durch kollektivrechtliche Vereinbarungen abbedungen werden. Dies gilt im Ergebnis auch für außerordentliche Kündigungen aus betrieblichen Gründen (BAG, Urt. v. 27.6.2019 – 2 AZR 50/19, NZA 2019, 1345). Nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG ist die Kündigung trotz Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse unwirksam, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des gekündigten Arbeitnehmers bestimmte soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt hat. Gemäß § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG sind in die soziale Auswahl nach S. 1 Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insb. wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Das Regelungsziel der Sozialauswahl besteht darin, zu einer gerechten Verteilung der verbliebenen Arbeitsplätze unter den Arbeitnehmern beizutragen (BAG, Urt. v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33). Es soll grds. dem Arbeitnehmer gekündigt werden, der auf das Arbeitsverhältnis am wenigsten angewiesen ist (BAG, Urt. v. 27.4.2017 – 2 AZR 67/16, NZA 2017, 902). Der Arbeitgeber hat in die Sozialauswahl diejenigen Arbeitnehmer einzubeziehen, die miteinander vergleichbar sind (sog. auswahlrelevanter Personenkreis). Dies sind Arbeitnehmer, die nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen aufgrund ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse sowie nach dem Inhalt der von ihnen vertraglich geschuldeten Aufgaben austauschbar sind. Es geht darum, ob der unmittelbar kündigungsbedrohte Arbeitnehmer den fortbestehenden Arbeitsplatz desjenigen Arbeitnehmers übernehmen kann, den er für sozial weniger schützenswert hält und dessen Arbeitsverhältnis nicht gekündigt werden soll (BAG, Urt. v. 15.11.2011 – 2 AZR 42/10). Es findet eine horizontale, aber keine vertikale Vergleichbarkeitsprüfung statt. Weder hat der Arbeitnehmer i.R.d. Sozialauswahl einen Beförderungsanspruch, noch findet ein Verdrängungswettbewerb "nach unten" statt. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG verlangt vom Arbeitgeber die "ausreichende" Berücksichtigung der dort aufgeführten Auswahlkriterien (Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung). § 1 Abs. 3 KSchG ist nicht zu entnehmen, wie die genannten sozialen Gesichtspunkte zueinander ins Verhältnis zu setzen sind. Keinem Kriterium kommt eine Priorität gegenüber den anderen zu. Vielmehr sind stets die individuellen Unterschiede zwischen den vergleichbaren Arbeitnehmern und deren "Sozialdaten" zu berücksichtigen und abzuwägen. Dabei braucht der Arbeitgeber nicht die "bestmögliche" Sozialauswahl vorgenommen zu haben. Ebenso wenig ist entscheidend, ob das Arbeitsgericht dieselbe Auswahl getroffen hätte, wenn es eigenverantwortlich die sozialen Erwägungen hätte anstellen und die so...