Entscheidungsstichwort (Thema)
Interessenausgleich mit Namensliste. Fehlerhaftigkeit einer Vorauswahl nach betrieblichen Interessen (Leistung/Qualifikation)
Leitsatz (amtlich)
1. Der Arbeitgeber hat unter den vergleichbaren Arbeitnehmern zunächst eine Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG zu treffen. Nur soweit durch die danach schutzwürdigen Arbeitnehmer die „berechtigten betrieblichen Interessen” nicht abgedeckt werden, kommt nach Satz 2 die Weiterbeschäftigung von sozial weniger schutzwürdigen Arbeitnehmern in Betracht.
2. Ist der Arbeitgeber bei den Auswahlüberlegungen falsch verfahren, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, daß die Auswahlentscheidung i.S. von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG fehlerhaft bzw. i.S. von § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG grob fehlerhaft ist. Der Arbeitgeber kann diese Vermutung entkräften, indem er die ausreichende Berücksichtigung der sozialen Grunddaten des Satzes 1 oder die tatbestandlichen Voraussetzungen der Option des Satzes 2 näher darlegt.
3. § 1 Abs. 3 Satz 2 meint mit berechtigten betrieblichen Interessen betriebliche Notwendigkeiten. Die Darlegungs- und Beweislast für die Gründe des Satzes 2 trägt der Arbeitgeber. Die Kammer neigt zu der Auffassung, daß weder § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG die sich aus § 1 Abs. 3 KSchG ergebende Verteilung der Darlegungslast verändert noch sich die auf grobe Fehlerhaftigkeit reduzierte Prüfung auf die Nichteinbeziehung von Arbeitnehmern gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG erstreckt.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3; KSchG n.F. § 1
Verfahrensgang
ArbG Wuppertal (Urteil vom 29.10.1997; Aktenzeichen 5 Ca 3623/97) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 29.10.1997 wird kostenfällig zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Beklagte beschloß, Teile der Produktion ins Ausland zu verlagern und 125 Arbeitnehmern zu kündigen. Sie ließ durch Vorgesetzte alle vergleichbaren Arbeitnehmer nach deren Kenntnissen, Fehlerhaftigkeit, Leistungen und weiteren Kriterien, z.B. Krankheitszeiten, körperliche Belastbarkeit, Deutschkenntnisse, beurteilen. Die günstig Beurteilten wurden im Umfang des nach der Betriebsänderung verbleibenden Personalbedarfs nicht zur Kündigung vorgesehen; die ungünstig Beurteilten, darunter der 49 Jahre alte, seit November 1976 beschäftigte Kläger, wurden auf eine Namensliste gesetzt. In einigen Fällen erhob der Betriebsrat Einwendungen. Danach kam ein Interessenausgleich mit 125 namentlich bezeichneten zu kündigenden Arbeitnehmern zustande. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.
Die Parteien streiten über die soziale Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung, insbesondere darüber, ob die im Interessenausgleich mit Namensliste vorgenommene Leistungsauswahl einer Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten vorgeht.
Der am 24.11.1948 geborene Kläger ist seit dem 22.11.1976 als gewerblicher Arbeitnehmer bei der Beklagten beschäftigt. Er wurde als Einsteller/Maschinenführer eingesetzt. Im November 1992 und Januar 1993 mahnte die Beklagte schriftlich eine bessere, der Lohngruppe 7 entsprechende Arbeitsausführung an. Seit dem 01.12.1996 teilt sie den Kläger nur noch als Maschinenführer ein.
Die Beklagte ist Zulieferer für die Automobilindustrie und beschäftigt in ihrem Werk in R. mehr als 500 Arbeitnehmer. Im Jahre 1997 beschloß sie, aus wirtschaftlichen Gründen die „Fertigung mittlerer und kleiner Serien/Profilteile” und die „Produktionspalette N.” zum 31.12.1997 ins Ausland zu verlagern. Sie behält die zwei großen Abteilungen „Presserei und Montage” und „Profilscharniere” sowie eine kleine Abteilung zur Teilefertigung für S. und läßt nur noch in Gruppenarbeit arbeiten. Bei der Auswahl der 125 zu kündigenden Mitarbeiter verfuhr sie wie folgt: Sie erstellte ein „Werkerprofil”, nach dessen Vorgaben die Vorgesetzten in einem persönlichen Profil die Leistungen, Fähigkeiten, Kenntnisse und sonstigen Eigenheiten (z.B. Krankheitszeiten) eines jeden Mitarbeiters zu beurteilen hatten. Entsprechend der individuellen Erfüllung des Werkerprofils wählte die Beklagte die Mitarbeiter aus: Die günstig beurteilten Mitarbeiter wurden im Umfang des nach der Betriebsänderung verbleibenden Personalbedarfs nicht zur Kündigung vorgesehen; die übrigen, schlechter beurteilten Mitarbeiter wurden auf eine Namensliste gesetzt. In den Verhandlungen über einen Interessenausgleich erhob der Betriebsrat gegen die Namensliste in sechs Fällen Einwendungen. Danach kam am 30.06.1997 der Interessenausgleich mit der Namensliste, die auch den Kläger aufführt, zustande. Die Beklagte hat 23 nach dem Kläger (z.T. erst in den 90'er Jahren, zuletzt 1994) eingestellten und in seiner Funktion tätigen und in Lohngruppe 7 eingestuften Arbeitnehmern nicht gekündigt.
Mit Schreiben vom 28.07.1997 sprach sie gegenüber dem Kläger die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.03.1998 aus. Hiergegen richtet sich die am 11.08.1997 beim Arbeitsgericht Wuppertal eingereichte Künd...