Die Beschwerden aus Verbänden und Wirtschaft über eine überstürzte Gesetzgebung häufen sich. Obwohl es bereits seit Jahren immer wieder Kritik daran gibt, dass etwa den Verbänden zu wenig Zeit gegeben wird, zu geplanten Gesetzesvorhaben eine fundierte Stellungnahme abzugeben, häufen sich in auffälliger Weise seit Amtsantritt der „Ampel-Koalition” derartige Beanstandungen.
Dem Deutschen Richterbund (DRB) ist jetzt der „Kragen geplatzt”. Er ging Ende August an die Presse und rügte die Bundesregierung für mangelnde Beteiligungsmöglichkeiten an der Gesetzgebung. So erläuterte Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn, es würden immer wieder fehlerhafte Gesetze im „Hauruckverfahren” beschlossen, was im Ergebnis zu handwerklichen Fehlern, Regelungslücken oder Widersprüchlichkeiten in Gesetzen führe. Dadurch werde die Arbeit der Gerichte nicht leichter. Die Anhörung der Verbände, sozusagen der „Praxis-TÜV” in der Gesetzgebung, sei kein Selbstzweck, betonte Rebehn. Die Ampelkoalition solle deshalb wieder einer „soliden Qualitätskontrolle” im Gesetzgebungsverfahren mehr Raum einräumen.
Rebehn erinnerte an eine selbstkritische Aussage von Bundesjustizminister Marco Buschmann, der vor einiger Zeit zugegeben hatte, Gesetze in letzter Zeit „häufig quasi im Schweinsgalopp” produziert zu haben. Mit Blick auf das soeben verabschiedete BND-Gesetz resümierte Rebehn: Wenn das Bundeskanzleramt jetzt erneut wieder nur 24 Stunden Zeit eingeräumt habe, um einen Entwurf zur Änderung des BND-Gesetzes solide zu bewerten, scheine der Appell von Buschmann noch nicht überall gehört worden zu sein.
In der Regel werden Gesetzesvorschläge von einem Ministerium erarbeitet, das für ein Thema federführend zuständig ist, manchmal auch unter Beteiligung anderer Ministerien. Vor der Verabschiedung bekommen auch die Verbände und Länder Gelegenheit zur Stellungnahme, etwa um auf Probleme bei der Umsetzung oder Regelungslücken hinzuweisen. In letzter häufen sich allerdings die Fälle, wo die Fristen zu einer derartigen fachlichen Stellungnahme derart kurz sind, dass eine fundierte Beurteilung praktisch nicht möglich ist.
Dies sieht nicht nur der Richterbund so; auch andere Verbandsvertreter äußern sich kritisch, formulieren ihren Ärger aber meist etwas weniger öffentlichkeitswirksam. So schrieb etwa jüngst der Deutsche Anwaltverein (DAV) in die Einleitung der von ihm erbetene Stellungnahme zum geplanten Gesetz zur Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten:
„Der DAV bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zum Gesetzentwurf, weist aber erneut darauf hin, dass eine Frist von weniger als 48 Stunden jeglichen Respekt vor den Verbänden vermissen lässt und im vorliegenden Fall der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Gesetzgebungsvorhabens nicht gerecht wird. Angesichts der Kürze der Frist kann der DAV seine Stellungnahme im Wesentlichen nur auf einen Punkt beschränken [...]”.
Und die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) machte ihrer Verstimmung über die ihr gesetzte Anhörungsfrist zum geplanten Wachstumschancengesetz Luft, indem sie die Stellungnahme zum Entwurf wie folgt einleitete:
„Vorab erlauben wir uns erneut, die unverhältnismäßig kurze Stellungnahmefrist zu beanstanden. Eine vertiefte und umfassende Prüfung des 279 Seiten langen Gesetzesentwurfs wird dadurch erheblich erschwert und kann daher auch nicht auf alle relevanten Punkte eingehen. [...] Um eine ernsthafte Verbändeanhörung zu ermöglichen, wird – leider nicht zum ersten Mal, aber deshalb nicht weniger eindringlich – darum gebeten, zukünftig längere Fristen zur Abgabe von Stellungnahmen einzuräumen. Denn sonst verstärkt sich der Eindruck, dass Stellungnahmen der Verbände formal zwar ermöglicht werden sollen, aufgrund der sehr kurzen Frist allerdings nicht erwünscht sind. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die Erwartung an die Verbändeanhörung gering ist, da die vom Ministerium zur Stellungnahme versandten Entwürfe unmittelbar nach Ende der Anhörungsfrist regelmäßig ohne Änderungen in den Bundestag eingebracht werden.”
Ob die Politik den Ruf aus der Praxis erhört, wird die Zukunft zeigen. Es steht allerdings zu befürchten, dass – solange es keine expliziten Vorschriften zu einer Mindestfrist für derartige Anhörungen gibt und die Verbände sich trotz aller Klagen immer wieder dem Druck aus den Ministerien beugen – die Politiker auch weiterhin den aus ihrer Sicht vorrangigen (partei-)politischen Notwendigkeiten den Vorrang vor einer ordentlichen Normsetzung geben werden.
[Red.]