Als schädigendes Ereignis beschreibt § 13 Abs. 1 Nr. 1 einen vorsätzlichen, rechtswidrigen, unmittelbar gegen die Person des Opfers gerichteten tätlichen Angriff (körperliche Gewalttat) oder dessen rechtmäßige Abwehr, im Wesentlichen wie bisher in § 1 Abs. 1 OEG. Das BSG hat zu § 1 OEG stets entschieden, ein tätlicher Angriff im Sinne dieser Vorschrift verlange ein körperliches Einwirken auf einen anderen, das nicht unbedingt ein aggressives Verhalten voraussetze. Es müsse jedenfalls bei dem Angriff eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestanden haben (BSG, Urt. v. 24.9.2020 – B 9 V 3/18 R, juris Rn 20 = NJW 2021, 876). Ferner hat das BSG entschieden, kein tätlicher Angriff i.S.v. § 1 Abs. 1 S. 1 OEG liege vor im Fall der Bedrohung mit einer ungeladenen, täuschend echt aussehenden Schreckschusspistole bei einem Banküberfall (BSG, Urt. v. 16.12.2014 – B 9 V1/13 R, juris Rn 19 ff. unter Aufgabe früherer Rspr.). Eine Ausnahme machte das Gericht aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer in Fällen des „gewaltlosen” sexuellen Missbrauchs von Kindern (BSG, Urt. v. 18.10.1995 – 9 RVg 4/93, juris Rn 12 ff.).
Ausgehend von der sich bereits in der Vergangenheit immer mehr durchgesetzten Erkenntnis, dass eine gesundheitliche Schädigung beim Opfer auch durch eine mit psychischer Gewalt begangene Tat ausgelöst werden kann, hat der Gesetzgeber nunmehr in § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bestimmt, eine gesundheitliche Schädigung könne auch dann erlitten sein, wenn sie „durch sonstiges vorsätzliches, rechtswidriges, unmittelbar gegen die freie Willensentscheidung einer Person gerichtetes schwerwiegendes Verhalten (psychische Gewalt)” verursacht wurde. Der Gesetzgeber hat damit Bestimmungen der sog. Istanbul Konvention – Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt v. 11.5.2011, BGBl 2017 II, S. 1027 – beachtet, die in Art. 30 Abs. 2 eine angemessene staatliche Entschädigung für diejenigen fordern, die eine schwere Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, soweit der Schaden nicht von anderer Seite ersetzt wird, wobei das Abkommen auf alle Formen von Gewalt, auch psychische Gewalt, anzuwenden ist, Art. 2 Abs. 1.
Was unter dem Begriff „schwerwiegenden Verhalten” in § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 zu verstehen ist, ist in § 13 Abs. 2 durch eine Aufzählung folgender Straftatbestände beispielhaft angeführt: sexueller Missbrauch (§§ 174–176d StGB), sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung (§ 177 StGB), Menschenhandel (§§ 232–233a StGB), Nachstellung (§ 238 Abs. 2, 3 StGB), Geiselnahme (§ 239b StGB) und räuberische Erpressung (§ 255 StGB). Ferner soll Verhalten i.S.v. § 13 Abs. 1 Nr. 2 i.d.R. schwerwiegend sein, wenn es von mindestens vergleichbarer Schwere ist, wie die vorerwähnten Straftatbestände. Wie Knickrehm ausführt, wird es schwierig sein, einen Maßstab für die Vergleichbarkeit zu finden, da die benannten Straftatbestände im Hinblick auf die Höhe der Strafandrohung und die Begehungsform sehr unterschiedlich ausgestaltet sind (Knickrehm, Netzwerk Sozialrecht – Erweiterter Gewaltbegriff im SGB XIV: Gewalttat ohne tätliche Gewalt, 2024).
Während nach § 1 Abs. 11 OEG für Schäden, die aus einem tätlichen Angriff, die von dem Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verursacht wurden, keine Leistungen gewährt wurden, werden solche Schäden nunmehr nach § 18 entschädigt. Hintergrund dieser Rechtsänderung sind einmal die Ereignisse am Breitscheidplatz in Berlin, wo am 19.12.2016 ein Attentäter seinen Lkw gezielt auf den Weihnachtsmarkt gelenkt hatte – wobei viele Personen getötet bzw. verletzt wurden – und die Erfahrungen, dass die Leistungen des Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen nach § 12 Pflichtversicherungsgesetz in vielen Fällen nicht ausreichen. Den Geschädigten soll künftig der volle Umfang der Entschädigungsleistungen nach dem SGB XIV zur Verfügung stehen, ihre Ansprüche gegen den Fonds gehen nach Maßgabe von § 120 auf den Kostenträger der Sozialen Entschädigung über (s. Knickrehm/Mushoff/Schmidt, a.a.O., Rn 75).