Ohne Gegenleistung ist ein Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam (BAG, Urt. v. 25.9.2014 – 2 AZR 788/13, ArbRB 2015, 168). Das BAG nennt selbst kompensierende Elemente: In Bezug auf den Beendigungszeitpunkt, die Beendigungsart, Zahlung einer Entlassungsentschädigung, Verzicht auf eigene Ersatzansprüche. Doch was ist mit einer Gegenleistung, die in einem überdurchschnittlich guten Zeugnis besteht? Diese Frage verneint das BAG nun erstmalig ausdrücklich (BAG, Urt. v. 24.9.2015 – 2 AZR 347/14, NZA 2016, 351).
Der einem Schwerbehinderten gleichgestellte Kläger war bei der Beklagten seit elf Jahren beschäftigt. Am 5.3.2013 übergab die Arbeitgeberin eine auf den 28.2.2013 rückdatierte Kündigung und eine ebenfalls rückdatierte Abwicklungsvereinbarung mit folgendem Wortlaut:
Zitat
- Arbeitgeberin und Arbeitnehmer sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche und fristgemäße Kündigung vom 28.2.2013 aus betrieblichen Gründen zum 30.6.2013 sein Ende finden wird.
- Die Arbeitgeberin verpflichtet sich, dem Arbeitnehmer mit Ablauf der Kündigungsfrist ein qualifiziertes Endzeugnis mit guter Leistungs- und Führungsbewertung zu erteilen.
- Der Arbeitnehmer bestätigt, dass er diese Erklärung freiwillig unter reiflicher Überlegung geschlossen hat. Er verzichtet hiermit ausdrücklich auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage. Die Arbeitgeberin weist darauf hin, dass sie über etwaige Nachteile beim Bezug von Arbeitslosengeld nicht belehrt hat und hierüber nur die für den Arbeitnehmer zuständige Arbeitsagentur Auskunft erteilen kann.
- Mit Erfüllung dieser Vereinbarung sind alle gegenseitigen Ansprüche aus und im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, gleich aus welchem Rechtsgrund – ob bekannt oder unbekannt – erledigt.
Wenig später erklärte der Kläger die Anfechtung bzw. den Widerruf der Abwicklungsvereinbarung und erhob Klage.
Das BAG gab der Klage statt. Nach seiner ständigen Rechtsprechung ist der Verzicht auf das Recht zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam, wenn keine (adäquate, angemessene) Kompensation erfolgt. Die Überprüfung der Vereinbarung ist nicht nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB ausgeschlossen. Mit einem vor Ablauf der Klagefrist erklärten Klageverzicht ist eine Abweichung von Rechtsvorschriften verbunden. Ein in dieser Zeit erklärter formularmäßiger Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage ist ohne eine ihn kompensierende Gegenleistung des Arbeitgebers wegen unangemessener Benachteiligung des Arbeitnehmers gem. § 307 Abs. 1 S. 1 unwirksam. Die Zusage eines guten Zeugnisses stelle keinen angemessenen Ausgleich für die Beeinträchtigung dar, da Arbeitnehmer gegen ihren Arbeitgeber gem. § 109 Abs. 1 S. 1, 3 GewO ohnehin einen gesetzlichen Anspruch auf ein qualifiziertes Zeugnis hätten. Die vertragliche Bekräftigung eines ohnehin bestehenden Anspruchs sei kein kompensierender Vorteil.
Hinweise:
Das BAG gibt den abstrakten Maßstab für die künftige Bewertung der unangemessenen Benachteiligung i.S.d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB vor. Diese kann zu verneinen sein, wenn vier Voraussetzungen vorliegen:
- dem Arbeitnehmer an anderer Stelle vertraglich ein Vorteil gewährt wird,
- Vor- und Nachteile in einem inneren Zusammenhang stehen (vgl. BAG, Urt. v. 23.8.2012 – 8 AZR 804/11, Rn 45, BAGE 143, 62; BGH, Urt. v. 29.11.2002 – V ZR 105/02, zu II. 4. b der Gründe, BGHZ 153, 93),
- der gewährte Vorteil das durch die benachteiligende Vertragsbestimmung beeinträchtigte Interesse stärkt und
- der Vorteil von einem solchen Gewicht ist, dass er einen angemessenen Ausgleich für die Beeinträchtigung darstellt (MüKo-BGB/Wurmnest, 6. Aufl., § 307 Rn 36; Däubler/Bonin/Deinert, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, 4. Aufl., § 307 Rn 95). Dazu bedarf es einer Abwägung zwischen dem vereinbarten Nachteil einerseits und dem gewährten Vorteil andererseits anhand einer umfassenden Würdigung u.a. der auf beiden Seiten anzuerkennenden, typischerweise berührten Interessen nach einem generellen und typisierenden, vom Einzelfall losgelösten Maßstab. Bei Verbraucherverträgen – wozu Arbeitsverträge stets zählen – sind gem. § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB ggf. auch die den Vertragsschluss begleitenden – und damit individuellen – Umstände zu berücksichtigen.
- Entgegen seiner eigenen Rechtsprechung zur Zeugniserteilung, wonach grundsätzlich jede Partei die Beweislast für die Abweichung vom Durchschnitt trägt, sieht das BAG in der Zusage eines überdurchschnittlich "guten Zeugnisses" typischerweise nur die Erfüllung der gesetzlichen Pflichten des Arbeitgebers. Angesichts der einschlägigen Zeugnisrechtsprechung, der nicht unerheblichen Beweislast und der Handhabung in der Praxis, erscheint dies etwas lebensfremd.
- Eine klassische Rechtsmissbrauchsentscheidung. Nach den Kriterien des BAG stellt sich die Frage: Wie hoch muss bei einem Arbeitnehmer, der mehr als zehn Jahre Betriebszugehörigkeitsdauer aufweist und überdies Sonderkündigungss...