In der Praxis spielen die Frage der Strafzumessung in Zusammenhang mit der Verurteilung eines Angeklagten wegen sog. Leistungserschleichung (§ 265a StGB) immer wieder eine Rolle. Damit hat sich vor kurzem das BayObLG (Beschl. v. 21.5.2019 – 203 StRR 594/19) befasst. Verurteilt worden war der Angeklagte wegen Leistungserschleichung in drei Fällen. Der Gesamtschaden hatte 9 EUR betragen. Das AG hatte eine Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10 EUR festgesetzt. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das LG Nürnberg-Fürth zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten (Einzelstrafen je zwei Monate) verurteilt. Dagegen hatte der Angeklagte Revision eingelegt.

Die Revision hatte Erfolg. Das BayObLG hat die vier Monate Freiheitsstrafe auf zwei Monate reduziert. Es sah in den vom LG verhängten vier Monaten Freiheitsstrafe angesichts der geringen Schadenshöhe und fehlender weiterer besonderer strafschärfender Kriterien keinen gerechten Schuldausgleich für das begangene Tatunrecht. Zwar sei die Strafzumessung grundsätzlich allein Sache des Tatrichters und das Revisionsgericht könne die Entscheidung nur auf Rechtsfehler nachprüfen. Darunter falle aber auch die Überprüfung, ob sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löse, gerechter Schuldausgleich zu sein, ob sie also in grobem Missverhältnis zu Tatunrecht und Tatschuld steht und gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoße (BGH StV 2014, 611; OLG Hamm NStZ-RR 2014, 214 = StV 2014, 621 = StRR 2014, 354; Fischer, § 46 Rn 146, 149a). Bei einer Verurteilung wegen eines Bagatelldelikts, wie etwa Leistungserschleichung, bestünden – so das BayObLG – keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Verhängung einer auch nicht zur Bewährung ausgesetzten kurzzeitigen Freiheitsstrafe, wenn die besonderen Voraussetzungen des § 47 StGB vorliegen. In der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung von Handlungs- und Erfolgsunwert könne nämlich ein Weniger an Erfolgsunwert (hier: geringe Schadenshöhe) durch ein Mehr an Handlungsunrecht (hier: vielfache, teils einschlägige Vorstrafen, der Angeklagte stand unter Bewährung) ausgeglichen werden. Beim Angeklagten habe es sich um einen hartnäckigen Rechtsbrecher, der sich in der Vergangenheit weder durch Geldstrafen noch durch eine Vielzahl von Freiheitsstrafen, die zum Großteil auch vollzogen wurden, habe beeindrucken lassen. In derartigen Fällen sei die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG, Beschl. v. 9.6.1994 – 2 BvR 710/94).

Allerdings werde bei Bagatelldelikten die Dauer der Freiheitsstrafe dadurch begrenzt, dass diese in einem angemessenen Verhältnis zur geringen Schadenshöhe stehen muss. Die verhängte Strafe dürfe sich daher weder nach oben noch nach unten von ihrer Bestimmung lösen, gerechter Schuldausgleich zu sein (BGHSt 29, 319, 320). Bei Leistungserschleichungen mit geringer Schadenshöhe sei auch bei hartnäckigen Wiederholungstätern, abhängig von den konkreten Strafzumessungsgründen, i.d.R. die Verhängung der einmonatigen Mindeststrafe geeignet, gerechter Schuldausgleich zu sein. Die hier vom LG verhängten, darüber liegenden Einzelstrafen und die daraus gebildete Gesamtfreiheitsstrafe waren hier aufgrund Fehlens besonderer Erschwernisgründe somit keinen gerechten Schuldausgleich mehr dar.

 

Hinweis:

Etwas anders hat das OLG Hamm (StRR 2015, 191) entschieden. Das hat auch bei einer Verurteilung wegen Erschleichens von Leistungen die Verhängung einer nicht nur kurzfristigen Freiheitsstrafe nicht beanstandet, wenn einschlägige Vorstrafen vorliegen und sich der Angeklagte durch die Verhängung von Geldstrafen nicht nachhaltig hat beeinflussen lassen. Allerdings: Letztlich sind diese Fragen immer solche des Einzelfalls. Der Verteidiger muss aber mit "günstigen" Entscheidungen argumentieren.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?