Der Beschluss des BGH vom 28.4.2020 – X ZR 60/19 (ZAP EN-Nr. 331/2020 [LS] = NJW 2020, 2194) befasst sich mit anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei Telefax-Übermittlung. Probleme können sich ergeben, wenn im Hinblick auf einen drohenden Fristablauf (z.B. kurz vor Mitternacht) noch ein Telefax versandt werden soll.
Der Versender hat mit der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung getan,
wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung begonnen hat, dass unter normalen Umständen mit einem Abschluss vor 0.00 Uhr zu rechnen gewesen ist. Das soll – so der BGH – unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung – i.d.R. der Fall sein, wenn eine Übermittlungszeit von 30 Sekunden pro Seite angesetzt wird und sich der so errechnete Wert im Hinblick auf die Möglichkeit einer anderweitigen Belegung des Empfangsgeräts sowie schwankende Übertragungsgeschwindigkeiten um einen Sicherheitszuschlag von ca. 20 Minuten erhöht wird.
Beispiel:
Ist ein 20-seitiger Schriftsatz am letzten Tag der Klagefrist mittels Telefax einzureichen, muss der Versand bis spätestens 23.30 Uhr begonnen sein (24 Uhr abzüglich 20 Minuten Sicherheitsabschlag, abzüglich 20 × 30 Sekunden für 20 Seiten).
Kommt es trotz Einhaltung dieser Pflichten zu einer Fristversäumung, kann grds. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO – s. auch in anderen Verfahrensordnungen: § 67 SGG, § 60 VwGO, § 56 FGO – gewährt werden. Weitere Rechtsprechung des BGH zur Wiedereinsetzung referiert Rohwetter, NJW 2020, 2010.
Hinweis:
Die Entscheidung ist ergangen in dem Fall eines Patentanwalts, für den nach § 31a BRAO das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) nicht zur Verfügung steht. Der BGH lässt offen, ob Rechtsanwälte, die sich für den Versand per Telefax entschieden haben, bei technischen Problemen kurz vor Fristablauf einen Übermittlungsversuch über das beA unternehmen müssen (so aber OLG Dresden, Beschl. v. 29.7.2019 – 4 U 879/19, MDR 2020, 306; a.A. LG Mannheim, Urt. v. 17.1.2020 – 1 S 71/19, NJW 2020, 940 mit Anm. Siegmund, NJW 2020, 941). Die relativ hohe Zahl an Störungsmeldungen, die bisher für dieses System veröffentlicht wurden, begründet aber, so der BGH, Zweifel daran, ob es in seiner derzeitigen Form eine höhere Gewähr für eine erfolgreiche Übermittlung kurz vor Fristablauf bietet als ein Telefaxdienst.
Das Gericht verweist in diesem Zusammenhang auf seine ständige Rechtsprechung, wonach Gerichte die Anforderungen an die den Prozessbevollmächtigten i.R.d. § 233 S. 1 ZPO obliegende Sorgfalt nicht überspannen dürfen (s. auch BGH, Beschl. v. 27.6.2017 – II ZB 22/16, Rn 13 ff., ZAP EN-Nr. 610/2017).
Für die Entscheidung des Streitfalls bedarf diese Frage jedoch keiner abschließenden Beantwortung. Der BGH hält Patentanwälte jedenfalls nicht dazu verpflichtet, in der geschilderten Situation einen Rechtsanwalt zu bitten, den Versand für ihn vorzunehmen oder ihm eine Sendeberechtigung für sein Postfach einzuräumen.
Hinweis:
Im Sozialrecht gilt der Grundsatz der Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens (§ 9 S. 1 SGB X, s. etwa Roller in von Wulffen/Schütze, SGB X, § 9 Rn 4 m.w.N.), sodass – wenn nicht im Einzelfall besondere Formvorschriften bestehen (hierzu Roller a.a.O., Rn 5) – sich Beteiligte mündlich, schriftlich, elektronisch (§ 36a SGB I) zur Niederschrift, telefonisch und auch mittels Telefax an die Behörde wenden können. Auch für das gerichtliche Verfahren besteht die Möglichkeit, Klage oder Rechtsmittel durch Telefax einzulegen, obwohl dieses nicht die Schriftform nach § 126 Abs. 1 BGB wahrt.