Verfahren vor deutschen Strafgerichten dauern immer länger. Nach den Daten des Statistischen Bundesamtes stieg die durchschnittliche Dauer erstinstanzlicher Strafverfahren vor den Landgerichten im vergangenen Jahr auf einen neuen Höchstwert von durchschnittlich 8,2 Monaten. Im Zehn-Jahres-Vergleich hätten sich Strafprozesse vor den Landgerichten damit um fast zwei Monate verlängert, beklagte der Deutsche Richterbund (DRB) kürzlich. Auch bei den Amtsgerichten habe sich die durchschnittliche Verfahrensdauer bis zu einem Strafurteil im vergangenen Jahr auf 5,8 Monate verlängert. Dies sei ein weiterer Anstieg um einen halben Monat im Vergleich zum Vorjahr.
Die seit Jahren steigende Verfahrensdauer und die wachsende Zahl von U-Haftentlassungen wegen unverhältnismäßig langer Verfahren seien Symptome einer hohen Arbeitsbelastung der Strafjustiz, meint der DRB. Angesichts stetig wachsender Aufgaben für die Justiz könne eine Trendwende nur mit mehr Personal gelingen, erläuterte der Bundesgeschäftsführer der Vereinigung, Sven Rebehn, gegenüber der Presse. Er verwies darauf, dass Strafverfahren immer aufwendiger würden, weil internationale Bezüge zunähmen, die Komplexität des Rechts stetig steige und auch die auszuwertenden Datenmengen in der digitalen Welt sprunghaft wüchsen. Gegenüber der Ampel-Koalition mahnte Rebehn an, den versprochenen Rechtsstaatspakt 2.0 nun zügig mit den Bundesländern umzusetzen.
Eine negative Konsequenz aus der derzeitigen Arbeitsüberlastung der Justiz sei, so der Verband, dass immer häufiger Tatverdächtige wegen zu langer Verfahrensdauer aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssten. Eigentlich verlange das Beschleunigungsgebot in Haftsachen, dass Strafverfahren schnellstmöglich durchgeführt werden sollten, während die Tatverdächtigen in Untersuchungshaft säßen. Dies aber sei in den vergangenen fünf Jahren in wachsendem Maße nicht der Fall gewesen. Fast 300 Tatverdächtige hätten deshalb in diesem Zeitraum freigelassen werden müssen; allein im Jahr 2021 seien es mind. 66 Tatverdächtige gewesen, bei denen das Verfahren zu lange dauerte. Auch im laufenden Jahr sei mit einer hohen Zahl zu rechnen: So hätten allein in Berlin nach Angaben der dortigen Justizbehörde bereits sieben dringend Tatverdächtige wegen Verfahrensverzögerungen wieder auf freien Fuß gesetzt werden müssen, in Bremen seien in diesem Jahr bereits drei des Mordes Verdächtige wegen zu langwieriger Verfahren aus der Untersuchungshaft entlassen worden.
Die Richtervertretung fordert deshalb ein schnelles Gegensteuern der Ampel-Koalition. Es brauche jetzt das groß angelegte Investitionspaket von Bund und Ländern, das den Bürgern bereits im Koalitionsvertrag versprochen worden sei.
Eine Regelung, die helfen könnte das „Platzen” von Strafprozessen zu vermeiden, hat die Koalition allerdings soeben auf den Weg gebracht: Die coronabedingte Regelung zur Hemmung der Unterbrechungsfristen im Strafprozess soll verlängert werden. Angemahnt hatten dies die Bundesländer bereits vor Wochen; nachdem die bisherige Regelung in § 10 EGStPO, die den Lauf der in § 229 Abs. 1 und 2 StPO genannten Fristen änderte, schon zum 30. Juni dieses Jahres ausgelaufen war, befürchteten die Länder, dass Strafprozesse pandemiebedingt vermehrt wiederholt werden müssten (vgl. dazu Anwaltsmagazin auch ZAP 17/2022, 863).
Mit der jetzt auf den Weg gebrachten Verlängerungsregelung soll die Höchstdauer der Hemmung auf einen Monat – statt wie zuvor auf zwei Monate – verkürzt werden. Begründet wurde die Verkürzung des Zeitraums damit, dass eine Evaluierung der bisherigen Hemmungsregelung ergeben habe, dass es in der Vergangenheit i.d.R. lediglich zu kürzeren pandemiebedingten Unterbrechungen gekommen sei; deshalb sei künftig eine Höchstdauer von einem Monat ausreichend. Die Maßnahme soll zunächst bis zum 7.4.2023 befristet sein; Inkrafttreten soll die Änderung noch in diesem Herbst.
[Red.]