Nicht Gegenstand der Entscheidung des BGH war der in der Praxis auch gelegentlich vorkommende Fall, dass der Rechtsanwalt nach Beendigung der Angelegenheit von dem Auftraggeber gebeten wird, in dieser Angelegenheit weiter tätig zu werden. Dies betrifft eher weniger den Fall der Kündigung des Mandats, die Gegenstand der Entscheidung des BGH (AGS 2021, 262 [N. Schneider] = JurBüro 2021, 25) gewesen ist, sondern eher die Fälle, in denen Rechtsanwalt und Mandant gemeinsam der Auffassung waren, die Angelegenheit sei beendet.

Das ist der Fall, wenn der Rechtsanwalt eine reine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG unter Berücksichtigung der bis dahin bekannten Umstände gegenüber dem Mandanten abgerechnet hat. Soll dann die Angelegenheit noch weiter fortgesetzt werden, etwa weil der Mandant noch eine weitere Tätigkeit des Rechtsanwalts wünscht oder weil die Gegenseite die für beendet angesehene Angelegenheit wieder aufgreift, so kann der Mandant den Rechtsanwalt beauftragen, in der bisher abgeschlossenen Angelegenheit weiter tätig zu werden. In diesem Fall erhält der Anwalt gem. § 15 Abs. 5 S. 1 RVG nicht mehr an Gebühren, als er erhalten würde, wenn er von vornherein hiermit beauftragt worden wäre, es sei denn, der frühere Auftrag ist seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt (s. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG). Folglich erhält der Rechtsanwalt, der mehrere Monate seit Beendigung der Angelegenheit von dem Mandanten beauftragt worden ist, in derselben Vertretungsangelegenheit weiter tätig zu werden, insgesamt nur eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG. Da sich durch die weitere Tätigkeit jedoch zumindest der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit, vielleicht auch deren Schwierigkeit erhöht haben, sind natürlich auch diese Umstände bei der Gebührenbestimmung zu berücksichtigen. Der Anwalt ist somit in diesem Fall nicht mehr an die ursprüngliche Gebührenbestimmung gebunden.

 

Beispiel:

Der Rechtsanwalt ist von dem Mandanten beauftragt worden, eine Darlehensforderung abzuwenden. Nach mehreren Schriftwechseln rührt sich die Gegenseite nicht mehr. Nach mehreren Monaten rechnet der Rechtsanwalt unter Berücksichtigung aller bis dahin bekannten Umstände i.S.v. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG bei sonst durchschnittlichen Verhältnissen eine 1,3 Geschäftsgebühr nach Abs. 1 der Anm. zu Nr. 2300 VV RVG ab. Einige Monate später tritt die Gegenseite wegen des Darlehens erneut an den Mandanten heran. Dieser bittet den Rechtsanwalt, in der Darlehensangelegenheit weiter für ihn tätig zu werden. Dabei hat der Rechtsanwalt mehrere weitere umfangreiche Schriftsätze zu fertigen, er nimmt an einer mündlichen Besprechung mit der Gegenseite und deren Anwalt teil und bewältigt rechtlich schwierige Sachverhalte. Nachdem die Angelegenheit nunmehr erledigt ist, kann der Rechtsanwalt für seine gesamte Tätigkeit gem. § 15 Abs. 5 S. 1 RVG insgesamt zwar nur eine einzige Geschäftsgebühr abrechnen. Nach Erstellung der ersten Vergütungsberechnung sind jedoch weitere Anwaltstätigkeiten und Umstände hervorgetreten, die ihn zu einer neuen Bestimmung der Gebührenhöhe berechtigen. Da nunmehr die Anwaltstätigkeit umfangreich und schwierig war, ist der Rechtsanwalt nicht mehr an die Schwellengebühr nach Abs. 1 der Anm. zu Nr. 2300 VV RVG gebunden. Er kann z.B. eine 2,0 Geschäftsgebühr bestimmen. Insoweit tritt also eine Bindung an die ursprüngliche Bestimmung der 1,3 Geschäftsgebühr nicht ein.

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