Bei außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht gem. § 355 BGB zu (§ 312g Abs. 1 BGB). Der Unternehmer ist in diesem Fall verpflichtet, den Verbraucher nach Maßgabe des Art. 246a EGBGB zu informieren (§ 312 Abs. 1 BGB). Der Unternehmer hat den Verbraucher zu informieren u.a. über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufs sowie über das Musterwiderrufsformular in der Anlage 2 (Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB). Diese Informationspflicht bezüglich der Widerrufsbelehrung kann der Unternehmer dadurch erfüllen, dass er dem Verbraucher das in Anlage 1 vorgesehene Muster zutreffend ausgefüllt in Textform übermittelt (Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB).
In einem vom BGH entschiedenen Sachverhalt (Urt. v. 1.12.2022 – I ZR 28/22, ZAP EN-Nr. 265/2023) ging es um einen Immobilienerwerb und einen in diesem Zusammenhang abgeschlossenen Maklervertrag. Eine Sparkasse, die hierbei in Vertretung der Maklergesellschaft handelte, hatte den Kaufinteressenten (Verbrauchern) Angebote für eine zum Verkauf stehende Eigentumswohnung sowie eine „Verbraucherinformation” mit einer „Widerrufsbelehrung” zur Verfügung gestellt. Innerhalb dieser wurde unter der Überschrift „Widerrufsrecht” u.a. ausgeführt:
Zitat
„Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage ab dem Tag des Vertragsschlusses.”
Nach dem weiteren – einleitenden – Satz
Zitat
„Den Widerruf richten Sie bitte an:”
waren zwei mögliche Widerrufsempfänger angegeben, nämlich die „Sparkasse A” sowie die „Sparkassen- ... – GmbH”.
Die potenziellen Interessenten schlossen sodann den Maklervertrag im April 2019 und nachfolgend im Juli 2019 einen notariellen Kaufvertrag über die Immobilie. Sie zahlten ferner die vereinbarte Maklerprovision. Im Februar 2020 erklärten sie den Widerruf des Maklervertrags und begehrten – erfolglos – die Rückzahlung der bezahlten Maklerprovision.
Da der Widerruf nicht innerhalb der in der Belehrung genannten Frist von „14 Tagen ab dem Tag des Vertragsschlusses” erklärt worden war, kam es im nachfolgenden Gerichtsverfahren darauf an, ob der Beklagte (Makler) die Kläger (Verbraucher) zutreffend über das ihnen zustehende Widerrufsrecht belehrt hatte (sodass der im Februar 2020 erklärte Widerruf verfristet gewesen wäre) oder ob eine nicht ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung vorlag (sodass die Widerrufsfrist noch lief).
Im amtlichen Muster der Widerrufsbelehrung ist – für Dienstleistungsverträge – ausgeführt, dass die Widerrufsfrist „14 Tage ab dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses” (nicht wie vorliegend: des „Vertragsschlusses”) beträgt. Als Widerrufsempfänger ist ferner lediglich eine Person (und nicht wie vorliegend: zwei Widerrufsempfänger) vorgesehen.
Das OLG München (Urt. v. 31.1.2022 – 17 U 6087/21) als Vorinstanz hatte im Berufungsverfahren angenommen, dass dem beklagten Makler die Gesetzlichkeitsfiktion gem. Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB auch dann zukomme, wenn die von ihm erteilte Widerrufsinformation nicht vollständig mit der Musterbelehrung nach Anlage 1 übereinstimme. Die beiden von ihm vorgenommenen Änderungen verfälschten den Text der Widerrufsinformation nicht.
Dieser Ansicht erteilte der BGH in seinem Urteil eine Absage. Die Schutzwirkung der Gesetzlichkeitsfiktion komme nur demjenigen Unternehmer zugute, der die Muster-Widerrufsbelehrung nach Anlage 1 unverändert verwende und richtig ausführe. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte, dem Sinn und Zweck, dem Regelungszusammenhang sowie einer unionsrechtskonformen Auslegung des Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB. Zweck der Gesetzlichkeitsfiktion sei es, dem Unternehmer die Erfüllung der Informationspflichten durch die Verwendung gesetzlich vorgesehener Muster zu erleichtern. Die Geschäftspraxis für den Unternehmer solle vereinfacht sowie Rechtssicherheit hergestellt und in der Folge die Rechtspraxis entlastet werden. Sofern Abweichungen von dem amtlich vorgehaltenen Mustertext zugelassen würden, lasse sich schon mit Rücksicht auf die Vielgestaltigkeit möglicher individueller Veränderungen des Musters keine verallgemeinerungsfähige Grenze ziehen, bei deren Einhaltung eine Schutzwirkung noch gelten und ab deren Überschreitung sie bereits entfallen solle. Für die Zulassung gewisser individueller Änderungen durch den Unternehmer bestehe auch kein schutzwürdiges Bedürfnis. Ferner setze die Inanspruchnahme der Schutzfunktion nach dem Wortlaut des Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB voraus, dass der Unternehmer seine Informationspflicht erfüllt, indem er „das” in Anlage 1 vorgesehene Muster „zutreffend ausgefüllt” dem Verbraucher übermittele. Nach Ansicht des BGH konnte sich das beklagte Unternehmen nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion berufen. Eine dem amtlichen Muster gleichwertige Belehrung hatte der Beklagte nicht verwendet. Denn die Abweichungen (zwei Widerrufsempfänger, „Vertragsschluss” als Fristbeginn) sah der BGH als irreführend an. Die Widerrufsfrist war daher noch nicht abgelaufen.
Vor di...