I. Ausgangslage
Keine Frage, die Europäische Gemeinschaft, wird – insb. in jüngster Zeit – vielleicht nicht ganz zu Unrecht kritisiert, bietet ihren Bürgern und Unternehmen mit dem größeren Rechtsrahmen und einem einheitlichen Binnenmarkt aber unbestreitbar mehr Vor- als Nachteile. Ob man dies generell auch hinsichtlich der Gerichtsbarkeit und der Gesetzgebung so beurteilen kann, mag zumindest hinterfragt werden. So erfreute etwa im Jahr 2010 die Verordnung über Informationspflichten für Dienstleistungserbringer die Anwaltschaft mit einer Regelung, die vom Verfasser dieses Beitrages als „Europas neuester Streich” bezeichnet wurde (s. Schons AnwBl 2010, 419 ff.). Trotz der Rechtsfolgen – Verstöße können von Rechtsanwaltskammern mit „Bußgeldern” bis zu 1.000 EUR bedacht werden – blieb die erwartete Aufregung aus, was im Nachhinein zumindest zum Teil damit erklärt werden kann, dass gemeldete Fälle bislang nicht bekannt geworden sind.
Ganz anders wurde die jüngste berufsrechtliche Entscheidung des EuGH v. 12.1.2023 (C-395/21) wahrgenommen, die sich fast umgehend auf die anwaltliche Abrechnungspraxis in Deutschland auswirkte. Es geht um nichts weniger, als um die Frage, ob Ansprüche aus Vergütungsvereinbarungen neuerdings daran scheitern können, dass dem Mandanten zu Beginn, d.h. zum Zeitpunkt der Übertragung des Mandates, nicht offenbart wurde, mit welcher endgültigen Kostenbelastung er zu rechnen habe.
Kurz zusammengefasst entschieden die Luxemburger Richter in einem Fall, der ihnen aus Litauen vorgelegt wurde, dass eine Vertragsklausel in einer zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossenen Vereinbarung über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen, nach der sich die Vergütung nach dem Zeitaufwand richtet, in den Anwendungsbereich der EU-Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen fällt. Infolgedessen, so der EuGH, genügt eine nicht näher aufgeschlüsselte Klausel, die die Anwaltsvergütung vom Zeitaufwand des Anwalts abhängig macht, nicht dem Erfordernis, dass eine Vereinbarung klar und verständlich abgefasst sein und den Mandanten in die Lage versetzen muss, die Höhe seiner Kosten vorab abzuschätzen.
Kanzleien, die sich auf Massenverfahren spezialisiert haben – wie etwa den Diesel-Skandal, die Fälle um die Erhöhungen von Krankenversicherungsbeiträgen oder den Widerruf von Verbraucherdarlehensverträgen – sahen nach dieser Entscheidung bereits ein neues Geschäftsmodell und dienten sich an oder wurden direkt von Rechtsschutzversicherern angefragt, um aufgrund dieses Urteils nunmehr wohlverdiente und bereits gezahlte Honorare von Anwaltskanzleien rückerstattet zu verlangen.
II. Lösungsvorschläge aus der Praxis
Erste Reaktionen aus der Praxis liegen insoweit bereits vor. Verwiesen werden soll an dieser Stelle etwa auf den Beitrag des Direktors des Instituts für Anwaltsrecht an der Universität zu Köln, Kilian (NJW 2023, 903 ff.), der sich vielleicht am besten mit dem bekannten Kölner Spruch „wat willste maache” zusammenfassen lässt. Auch der Beitrag des Kollegen Graf von Westphalen (ZIP 2023, 2177 ff.) stimmt nicht unbedingt fröhlich und zuversichtlich; seine Schlussfolgerungen aus der EuGH-Entscheidung würden praktisch das Ende des Zeithonorars bedeuten.
Des Weiteren kann auf den Beitrag des Verfassers in den Düsseldorfer Kammermitteilungen (Schons, a.a.O., 2023, 58 ff.) verwiesen werden und schließlich auch auf die Mitteilung der Bundesrechtsanwaltskammer über einen Beschluss der 84. Tagung der Gebührenreferenten der Rechtsanwaltskammern am 6.4.2024 in Stuttgart, in dem insb. auch die Vorschläge des Verfassers aufgegriffen wurden (vgl. BRAK-Mitt v. 6.5.2024 sowie ZAP 2024, 559).
Einige der in der Literatur bislang unterbreiteten Vorschläge, wie mit der Entscheidung des EuGH umzugehen ist, müssen allerdings kritisch betrachtet werden. Dies betrifft etwa die Prognose zum voraussichtlichen Zeitaufwand des Anwalts oder den Vorschlag, zusätzlich zu einer solchen Prognose dem Mandanten während des laufenden Mandats auch noch Teilabrechnungen vorzulegen.
Hingewiesen werden muss an dieser Stelle auf den Ausgangspunkt der EuGH-Entscheidung, der darin gesehen werden kann, dass es in Litauen – anders als hierzulande – keinerlei Regulierungen des anwaltlichen Honorars gibt. Vielmehr wird in Litauen das anwaltliche Honorar zwischen Mandant und Rechtsanwalt stets völlig frei vereinbart, wie auch im vorliegenden Fall geschehen. Demgegenüber zeichnet sich die Rechtslage in Deutschland dadurch aus, dass ein hohes Schutzniveau für Verbraucher und Unternehmen dadurch hergestellt wird, dass den Parteien eines Anwaltsvertrages grds. gesetzliche Gebühren vorgegeben werden, von denen nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen und unter Einhaltung bestimmter Formalien abgewichen werden kann und darf (vgl. § 49b BRAO i.V.m. § 3a ff. RVG). Auch für fehlerhafte Vergütungsvereinbarungen findet das Gesetz in § 4b RVG und an anderen Stellen Regulierungsmöglichkeiten, bis hin zur Herabsetzung unangemessener Honorare.
Diese gesetzlichen Vorgaben werden von ...