Erste Reaktionen aus der Praxis liegen insoweit bereits vor. Verwiesen werden soll an dieser Stelle etwa auf den Beitrag des Direktors des Instituts für Anwaltsrecht an der Universität zu Köln, Kilian (NJW 2023, 903 ff.), der sich vielleicht am besten mit dem bekannten Kölner Spruch „wat willste maache” zusammenfassen lässt. Auch der Beitrag des Kollegen Graf von Westphalen (ZIP 2023, 2177 ff.) stimmt nicht unbedingt fröhlich und zuversichtlich; seine Schlussfolgerungen aus der EuGH-Entscheidung würden praktisch das Ende des Zeithonorars bedeuten.
Des Weiteren kann auf den Beitrag des Verfassers in den Düsseldorfer Kammermitteilungen (Schons, a.a.O., 2023, 58 ff.) verwiesen werden und schließlich auch auf die Mitteilung der Bundesrechtsanwaltskammer über einen Beschluss der 84. Tagung der Gebührenreferenten der Rechtsanwaltskammern am 6.4.2024 in Stuttgart, in dem insb. auch die Vorschläge des Verfassers aufgegriffen wurden (vgl. BRAK-Mitt v. 6.5.2024 sowie ZAP 2024, 559).
Einige der in der Literatur bislang unterbreiteten Vorschläge, wie mit der Entscheidung des EuGH umzugehen ist, müssen allerdings kritisch betrachtet werden. Dies betrifft etwa die Prognose zum voraussichtlichen Zeitaufwand des Anwalts oder den Vorschlag, zusätzlich zu einer solchen Prognose dem Mandanten während des laufenden Mandats auch noch Teilabrechnungen vorzulegen.
Hingewiesen werden muss an dieser Stelle auf den Ausgangspunkt der EuGH-Entscheidung, der darin gesehen werden kann, dass es in Litauen – anders als hierzulande – keinerlei Regulierungen des anwaltlichen Honorars gibt. Vielmehr wird in Litauen das anwaltliche Honorar zwischen Mandant und Rechtsanwalt stets völlig frei vereinbart, wie auch im vorliegenden Fall geschehen. Demgegenüber zeichnet sich die Rechtslage in Deutschland dadurch aus, dass ein hohes Schutzniveau für Verbraucher und Unternehmen dadurch hergestellt wird, dass den Parteien eines Anwaltsvertrages grds. gesetzliche Gebühren vorgegeben werden, von denen nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen und unter Einhaltung bestimmter Formalien abgewichen werden kann und darf (vgl. § 49b BRAO i.V.m. § 3a ff. RVG). Auch für fehlerhafte Vergütungsvereinbarungen findet das Gesetz in § 4b RVG und an anderen Stellen Regulierungsmöglichkeiten, bis hin zur Herabsetzung unangemessener Honorare.
Diese gesetzlichen Vorgaben werden von der Rechtsprechung auch ernst genommen und angewendet, was zahlreiche, auch höchstrichterliche, Urteile belegen (beispielhaft sei auf die gefestigte Rspr. zu den 15-Minuten-Klauseln verwiesen, vgl. BGH, Urt. v. 13.2.2020 – IX ZR 140/19, IX ZR 141/19, AnwBl 2020, 303 ff.). Darüber hinaus überprüfen Gerichte auf den entsprechenden Vortrag hin – ob mit oder ohne Sachverständigengutachten – die Plausibilität und Nachvollziehbarkeit des abgerechneten Zeitaufwandes ebenso wie die Angemessenheit von Stundensätzen. Transparenz ist demgemäß hinreichend gegeben, wo sie geboten werden kann.
Was hingegen in der anwaltlichen Praxis nicht geboten werden kann, ist eine valide und damit zuverlässige Prognose des zu erwartenden Zeitaufwandes. Eine solche Vorhersage ist praktisch auf allen Rechtsgebieten nicht möglich, da der Zeitaufwand nicht nur von der Kompetenz und vom Arbeitstempo des mandatierten Anwaltes abhängig ist, sondern fast noch vielmehr von anderen Umständen, auf die der Anwalt keinen Einfluss hat. Beispielhaft sei hier das Verhalten einiger Mandanten angeführt, die mit teils überflüssigen, teils aber auch nachvollziehbaren Nachfragen den Zeitaufwand ebenso prägen wie der Wunsch, fertige Schriftsätze wieder und wieder mit eigenen Vorstellungen belasten zu wollen.
Ebenso hat der mandatierte Anwalt auf die Prozessführung des Gerichts wenig Einfluss wie auch auf die oftmals über mehrere hundert Seiten von Textbausteinen geprägten Schriftsätze der Gegenseite, die gleichwohl Satz für Satz zur Kenntnis zu nehmen, zu überprüfen und ggf. zu erwidern sind. Auch Strafverfahren zeichnen sich oft dadurch aus, dass Mitverteidiger durch ständig neue Anträge die Verfahren zu verzögern verstehen, sodass ein Verfahren, das in wenigen Verhandlungstagen ohne Problem beendet werden könnte, oftmals das Vielfache in Anspruch nimmt.
Dass aus diesen Gründen Prognosen zum anwaltlichen Zeitaufwand äußerst schwierig sind, dürfte selbst dem EuGH bewusst gewesen sein. Insofern hatte der Verfasser (a.a.O.) aus gutem Grunde als Alternative empfohlen, sich in der Vergütungsvereinbarung zu verpflichten, regelmäßig, möglichst in geringen Abständen, wie etwa einem Monat, Abrechnungen zu erstellen, wobei diese Verpflichtung dann natürlich auch erfüllt werden muss. Zu weit gehen dürfte allerdings eine in der Lit. bereits erhobene Forderung, kumulativ zu einer Prognose auch noch regelmäßig während des laufenden Mandats abzurechnen.