Ungeachtet des Voranstehenden, erscheint es ganz besonders bedenklich, dass Rechtsschutzversicherungen sowie die sie vertretenden Anwälte die Auffassung vertreten, dass die Entscheidung des EuGH auch auf „Altfälle” anzuwenden ist, mit der Folge, dass selbst dort, wo geltendes Recht des RVG berücksichtigt worden ist, Rückforderungen generiert werden können.
Hier ist zum einen auf das Rückwirkungsverbot hinzuweisen, das angesichts einer geänderten Rspr. allenfalls dort relativiert werden kann, wo die betreffende Änderung der Rechtsauffassung des Gerichts oder auch der Gesetzgebung bereits seit einiger Zeit thematisiert und diskutiert wurde. Das kann für Deutschland jedenfalls verneint werden, denn vor der Entscheidung des EuGH v. 12.1.2023 ist weder in der Lit. noch in der Rspr. jemand auf die Idee gekommen, man müsse dem Mandanten über die nach dem Gesetz erforderlichen Hinweise und Belehrungen hinaus auch noch vorrechnen, mit welchem Zeitaufwand und mit welcher finanziellen Belastung er bei einem Zeithonorar zu rechnen habe.
Des Weiteren ist daran zu erinnern, dass der BGH dem EuGH schon in der Vergangenheit erfreulich deutlich entgegengetreten ist (vgl. nur BGH, Beschl. v. 31.3.2022 – XI ZR 581/18; BGH, Beschl. v. 31.3.2020 – XI ZR 198/19). Dort hatte der BGH ausgeführt, dass die Frage, wie die nationalen Vorschriften auszulegen seien (bezogen auf den Inhalt der gesetzlichen Muster-Widerrufsbelehrungen in Deutschland), in die ausschließliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte fällt. Solange z.B. ein Darlehensgeber ein gesetzliches Muster zur Widerrufsinformation verwendet, greift zu seinen Gunsten auch die Gesetzlichkeitsfiktion und der Vertrauensschutz ein. Diese erlauben folglich den Darlehensgebern, sich auf die Richtigkeit der von Ihnen verwendeten Muster-Widerrufsbelehrung zu berufen, selbst wenn die Rspr. einzelne Passagen in der Zukunft für unzulässig erklären sollte. Dieser Rechtsgedanke der Gesetzlichkeitsfiktion und des Vertrauensschutzes dürfte auch auf das Gebührenrecht des RVG übertragbar sein, wie die bisherige Rspr. vermuten lässt (vgl. etwa OLG München, Urt. v. 30.11.2016 – 15 U 1298/16; BGH, Beschl. v. 20.11.2008 – IX ZR 3406, AGS 2010, 216; BGH, Urt. v. 24.5.2007 – IX ZR 89/06, NJW 2007, 2332 f.; ebenfalls sei auf die hinlänglich bekannten Entscheidungen des OLG Köln, Urt. v. 12.4.2023 – 11 U 218/19 und OLG Bamberg, Urt. v. 15.6.23 – 12 U 89/22 hingewiesen).
Hinzu kommt: Die Rechtsschutzversicherungen sind zwar nicht in den Mandatsvertrag einbezogen, da sie in erster Linie reine Kostenerstatter sind (wenngleich ihr Selbstverständnis oft in eine andere Richtung geht), da der Rechtsschutzversicherer aber dort, wo er überhaupt Zeithonorare akzeptiert, regelmäßig in die Korrespondenz mit einbezogen wird, wird er nach diesseitiger Auffassung, wenn nicht Partner im Mandatsvertrag, so doch Vertragspartner bei Gestaltung und Abwicklung der Vergütungsvereinbarung. Wer als Rechtsschutzversicherer eine Vergütungsvereinbarung entgegennimmt, diese entweder akzeptiert oder – wie meistens – auf Veränderung hinwirkt, wie etwa bei der Höhe des Stundensatzes oder beim Zeittakt, dokumentiert, dass er sich als „Nicht-Verbraucher” an den Vertragsverhandlungen beteiligen und auf die Vertragsabwicklung und Ausrichtung hinwirken will. Bei dieser Betrachtung dürfte sich jedenfalls ein Rechtsschutzversicherer nicht auf Verbraucherschutz berufen können.
Ähnliches gilt unter dem Gesichtspunkt der Wertigkeit einer erteilten Deckungszusage (§ 125 VVG), die einen besonderen Vertrauensschutz auslöst. Das deklaratorische Schuldanerkenntnis hat zur Folge, dass der Rechtsschutzversicherer mit späteren Einwendungen und Einreden, tatsächlicher oder rechtlicher Natur, ausgeschlossen bleibt, soweit sie ihm bei Abgabe der Deckungszusage bereits bekannt waren oder er sie zumindest für möglich gehalten hatte oder mit ihnen rechnete. Gleiches gilt für Einwendungen, die der Rechtsschutzversicherer bei gehöriger Prüfung des Sachverhalts hätte erkennen können (vgl. OLG Saarbrücken, Urt. v. 16.11.2005 – 5 U 1/05, Rn 32 m.w.N.; KG, Hinweis-Beschl. v. 22.10.2021 – 6 U 1023/20). Zusammenfassend lässt sich daraus folgern, dass unberechtigten Bereicherungsklagen mit Aussicht auf Erfolg entgegengetreten werden kann.