Der EuGH (Urt. v. 29.2.2024 – C-606/21) hat sich in einer Grundsatzentscheidung mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen ein Staat den Verkauf nicht verschreibungspflichtiger Medikamente verbieten darf. Die Gesellschaft Doctipharma betreibt eine Webseite, auf der es bis zum Jahre 2016 möglich war, über Webseiten von Apotheken rezeptfrei erhältliche pharmazeutische Erzeugnisse und Arzneimittel zu kaufen. Konkret stellte die Webseite von Doctipharma die Waren mittels eines vorgespeicherten Katalogs zur Verfügung, der Kunde wählte die Arzneimittel aus und seine Bestellung wurde anschließend an die Apotheken weitergeleitet, deren Webseiten Doctipharma hostete. Die Zahlung des Kaufpreises erfolgte über ein für alle Apotheken anwendbares einheitliches Zahlungssystem von einem dafür vorgesehenen Konto.
Die Union des Groupements de pharmaciens d'officine (UDGPO) stellte die Rechtmäßigkeit dieser Webseite infrage. Durch den Dienst, den Doctipharma mittels ihrer Webseite erbringe, nehme sie am elektronischen Arzneimittelhandel teil und verstoße gegen die nationalen Rechtsvorschriften, die den Verkauf von Arzneimitteln durch Personen, die nicht die Eigenschaft eines Apothekers hätten, verböten. Die Cour d'appel de Paris (Berufungsgericht Paris) fragte den EuGH zum einen, ob es sich bei der Tätigkeit von Doctipharma um einen Dienst der Informationsgesellschaft handelt, und zum anderen, ob das Unionsrecht es den Mitgliedstaaten erlaubt, die Erbringung eines solchen Dienstes zu verbieten, der darin besteht, mittels einer Webseite Apotheker und Kunden für den Verkauf nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel über Webseiten von Apotheken zusammenzuführen, die diesen Dienst abonniert haben.
Der EuGH stellte insoweit klar, dass der Dienst, der in der Zusammenführung von Apothekern und potenziellen Patienten für den Verkauf von Arzneimitteln besteht, unter den Begriff „Dienst der Informationsgesellschaft” i.S.d. Unionsrechts fällt und entschied wie folgt:
- Wird der Anbieter, der keine Apothekereigenschaft besitzt, selbst als Verkäufer der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel angesehen, kann der Mitgliedstaat, in dem er niedergelassen ist, die Erbringung dieses Dienstes verbieten.
- Beschränkt sich der betreffende Anbieter hingegen durch eine eigene und vom Verkauf unabhängige Leistung darauf, Verkäufer und Kunden zusammenzuführen, dürfen die Mitgliedstaaten diesen Dienst nicht mit der Begründung verbieten, dass die betreffende Gesellschaft am elektronischen Handel mit Arzneimitteln beteiligt sei, ohne die Eigenschaft eines Apothekers zu haben.
Zwar sind allein die Mitgliedstaaten dafür zuständig, diejenigen Personen zu bestimmen, die zum Verkauf nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel an die Öffentlichkeit im Fernabsatz durch Dienste der Informationsgesellschaft ermächtigt oder befugt sind, doch müssen sie auch sicherstellen, dass der Öffentlichkeit Arzneimittel zum Verkauf im Fernabsatz durch Dienste der Informationsgesellschaft angeboten werden und dürfen folglich einen solchen Vermittlungsdienst für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht verbieten.