aa) Vor Erreichen der Regelaltersgrenze
Der Unterhaltsschuldner braucht seinen eigenen angemessenen Unterhalt einschließlich einer angemessenen Altersvorsorge nicht zu gefährden (BGH FamRZ 2006, 1511 ff.; FamRZ 2004, 1184). Damit ist auch das zu diesem Zweck angesparte Kapital geschützt. Hierbei kann es sich um verschiedene Formen der Vermögensbildung handeln, auch vermietete Immobilien werden eingerechnet.
Der ihm im Rahmen des Elternunterhalts zu belassende Vermögensfreibetrag kann – anders als der für das Einkommen geltende Selbstbehalt – nicht mit einem Festbetrag bemessen werden, sondern ist individuell unter Berücksichtigung der Besonderheiten jedes Einzelfalls zu bestimmen. Sofern der Unterhaltsschuldner seine Altersvorsorge in Form von Sparvermögen oder ähnlichen Kapitalanlagen sichert, muss ihm davon jedenfalls der Betrag verbleiben, der sich aus der Anlage der ihm unterhaltsrechtlich zuzubilligenden, über die primäre Altersvorsorge hinausgehenden zusätzlichen Altersvorsorge bis zum Renteneintritt ergäbe.
Da im Rahmen des Elternunterhalts eine zusätzliche Altersvorsorge von bis zu 5 % des Bruttoeinkommens des Vorjahres betrieben werden kann, muss errechnet werden, wie hoch der sich daraus während des gesamten Berufslebens zulässig angesparte und unterhaltsrechtlich geschützte Gesamtbetrag bei Eintritt des Rentenalters voraussichtlich sein wird (BGH FamRZ 2006, 1511 ff.). Nicht beanstandet hat der BGH, dass dem Unterhaltspflichtigen ab Beginn seines beruflichen Werdegangs 5 % des letzten Bruttoeinkommens für die angemessene Altersvorsorge angerechnet wurden (BGH, Beschl. v. 7.8.2013 – XII ZB 269/12, FamRZ 2013, 1554 m. Anm. Hauß).
Beispiel:
Das letzte Jahresbruttoeinkommen des noch erwerbstätigen elternunterhaltspflichtigen Kindes beträgt 65.000 EUR. Zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme auf Elternunterhalt konnte das Kind auf eine Gesamterwerbszeit von 35 Jahren zurückblicken. Zurückgelegt werden konnten in zulässiger Weise pro Jahr 5 % = 3.250 EUR. Für die gesamte Erwerbszeit von 35 Jahren beläuft sich dann das zulässig angesparte Altersvorsorgevermögen auf 117.000 EUR. Verfügt das Kind zu diesem Zeitpunkt über ein Gesamtvermögen von 200.000 EUR, so sind – vorerst – davon 117.000 EUR vor dem Zugriff des Elternunterhalts als Altersvorsorgevermögen geschützt. Die restlichen 83.000 EUR stehen als Vermögen für den Elternunterhalt zur Verfügung, sofern sie nicht aus anderen Gründen geschützt sind (s. oben 8. a–c).
Ist der Unterhaltspflichtige Alleineigentümer eines selbst genutzten Grundeigentums, ist zudem berücksichtigen, dass er im Alter keine Mietkosten aufwenden muss und seinen Lebensstandard daher mit geringeren Erwerbs- und Vermögenseinkünften decken kann (BGH, Beschl. v. 29.4.2015 – XII ZB 236/14, FamRZ 2015, 1172)
bb) Nach Erreichen der Regelaltersgrenze
Hat das unterhaltspflichtige Kind bereits das Rentenalter erreicht, muss ihm das zum Zweck der Altersversorgung angesparte Kapital nicht dauerhaft verbleiben. Es ist vielmehr gehalten, das Kapital bei Erreichen der Regelaltersgrenze seinem bestimmungsmäßigen Zweck entsprechend nach und nach zu verbrauchen. Geschützt wird jedoch also nur ein bestimmtes unantastbares Vermögen, das zur eigenen Absicherung im Alter voraussichtlich erforderlich ist.
Dazu ermittelt der BGH die voraussichtliche Lebenserwartung des Pflichtigen nach statistischen Grundsätzen und errechnet daraus, welche Vermögenswerte verteilt auf diese Zeit der Lebenserwartung für den eigenen Unterhalt des Pflichtigen zurückbehalten werden müssen. Künftige Erwerbsmöglichkeiten sind zusätzlich zu berücksichtigen.
Beispiel:
Ergibt sich bei dem obigen Beispiel, dass an dem bislang geschützten zulässig angesparten Altersvorsorgevermögen von 117.000 EUR lediglich ein Betrag von 100.000 EUR für die voraussichtliche Absicherung zum statistischen Sterbedatum benötigt wird, stehen von diesem Zeitpunkt an weitere 17.000 EUR für den Elternunterhalt zur Verfügung. Das unterhaltspflichtige Kind kann diesen Betrag mit den oben geschilderten Argumenten ebenfalls verteidigen.
Hinweis:
Gegen die Entscheidung des BGH hinsichtlich der Berechnung ist Kritik vorgebracht worden (Schürmann jurisPR-FamR 6/2013 Nr. 5; Hauß FamRZ 2013, 206, 207 m.w.N.). Zwar trägt das noch geschützte, aber abschmelzende Kapital weiterhin Zinsen. Allerdings hat der BGH für die zukünftige Verzinsung in Anlehnung an die steuerrechtliche Vorschrift des § 14 BewG einen nicht realistischen Zinssatz von 5,5 % angesetzt.