Der gem. § 10 S. 1 StVO Einfahrende hat gegenüber Vorfahrtberechtigten hohe Sorgfaltspflichten zu beachten. Gleichwohl muss auch der Vorfahrtberechtigte stets besonders aufmerksam fahren und den Straßenverkehr gehörig beobachten. Kommt es bei beiderseitig festgestellten Verkehrsverstößen zu einer Kollision, ist eine Quote von 50 zu 50 angemessen (OLG Celle NZV 2018, 189 [Gutt]). In Fällen "mehrspurigen parallelen Abbiegens" werden das Recht der freien Fahrstreifenwahl des am weitesten rechts eingeordneten Abbiegers und das Rechtsfahrgebot durch das Gebot, die Spur zu halten, ersetzt. Hatte ein Fahrzeugführer/Kfz-Halter wegen einer Verkehrslage bei "mehrspurigem parallelen Abbiegen" auf der von ihm gewählten (Links-)Abbiegespur Vorrang und ist dagegen einem anderen Fahrer ein Verstoß gegen die Gefahrvermeidungspflicht beim Spurwechsel (§ 7 Abs. 5 StVO) unterlaufen, hat ersterer deswegen im Kollisionsfall Anspruch auf Schadensersatz in voller Höhe (OLG München NJW 2018, 960 = DAR 2018, 148 = NZV 2018, 191 [Lempp]). Bei einem scharfen Abbremsen zum Zwecke der Disziplinierung/Verkehrserziehung des Nachfolgenden ergibt sich eine volle Haftung des Bremsers, da ein solcher Akt der Selbstjustiz im Straßenverkehr den in § 1 StVO verankerten Geboten der Vorsicht und Rücksichtnahme in schwerwiegender Weise widerspricht (LG Essen VRR 7/2018, 11 [Nugel]).
Wer in einer Einbahnstraße in Fahrtrichtung vom Fahrbahnrand anfährt, muss nicht damit rechnen, dass ihm ein Kfz entgegen kommt. Im Falle einer Kollision besteht daher kein Anschein für ein Verschulden des vom Fahrbahnrand Anfahrenden, § 10 StVO. Dessen Mithaftung ist nur gerechtfertigt, wenn der Rückwärtsfahrer dem Anfahrenden ein unfallursächliches Aufmerksamkeitsverschulden nachweisen kann (OLG Düsseldorf DAR 2018, 204 = NZV 2018, 237 [Dürpisch]). Fährt der Fahrer eines Müllfahrzeugs rückwärts, ohne sich einweisen zu lassen, kann ihn auch dann eine Mithaftung treffen, wenn der Fahrer eines unmittelbar nachfolgenden Pkw in einer Überreaktion sein Fahrzeug zurücksetzt und dabei mit einem anderen Fahrzeug kollidiert (LG Saarbrücken NJW 2018, 1108 = zfs 2018, 316).
Wer an einem Hindernis auf der Fahrbahn vorbeifahren will, muss entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen, § 6 S. 1 StVO. Der Wartepflichtige ist in besonderem Maße zur Vorsicht gehalten. Dazu gehört, dass er bereits bei Annäherung an die Engstelle die eigene Geschwindigkeit herabsetzt und beobachtet, ob bevorrechtigter Gegenverkehr herannaht. Weicht im Begegnungsverkehr ein nach Maßgabe des Vorgenannten bevorrechtigtes Fahrzeug in der Engstelle nach rechts aus, ohne dass es dabei zu einer Berührung der beiden Kfz kommt, haftet der Wartepflichtige allein (LG Hamburg NZV 2018, 432 [Bachmor]).