Das Berufsrecht ist ein Querschnittsgebiet, das insb. in seinen Randbereichen nicht kanonisiert ist (v. Lewinski, Berufsrecht der Rechtsanwälte, Patentanwälte und Steuerberater, 5. Aufl. 2022, Kap. 1 Rn 3 ff.). Eine Bestimmung der Berufsrechtsinhalte hat das Gesetz bewusst einer Konkretisierung durch die Satzungsversammlung überwiesen (BT-Drucks 19/30516, S. 45). Gleichwohl müssen die „wesentlichen Bereich des Berufsrechts” abgedeckt sein. Was der Gesetzgeber darunter versteht, hat er im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens aufgeschrieben. Aus seiner Sicht umfassen die wesentlichen Bereiche des Berufsrecht Folgendes:
Zitat
„Organisation des Berufs, Grundpflichten des Rechtsanwalts (Unabhängigkeit, Verschwiegenheit – einschließlich der prozessualen Folgen für Zeugnisverweigerung und Beschlagnahme –, Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, Pflichten beim Umgang mit anvertrauten Vermögenswerten, Fortbildung), Aufklärungs- und Informationspflichten (unter anderem zur Vergütung) gegenüber der Mandantschaft, Berufsaufsicht und berufsrechtliche Sanktionen, Grundzüge des anwaltlichen Haftungsrechts” (BT-Drucks 19/30516, S. 45).
Wenn man also die Vorstellung des Gesetzgebers mit dem Schrifttum abgleicht, ist das Essentialium des rechtsanwaltlichen Berufsrechts recht gut umschrieben.
Beispiel:
Wenn man die gängigen Berufsrechtslehrbücher (in alphabetischer Reihenfolge) durchschaut, ergibt sich folgendes:
- Ahrens, Berufsrecht der Rechtsanwälte, 2017, stellt den Anwalt zunächst als regulierten Beruf dar, erläutert dann die Selbstverwaltungsinstitutionen, die Zulassung und die gemeinschaftliche Berufsausübung, die Stellung im System der Rechtspflege (dort, wenn auch bunt gemischt, Verschwiegenheit, Interessenkollision, Werbung, Fachanwaltschaft, Vergütung und RDG), ferner Verfassungs- und Europarecht und schließlich Mandant und Mandat.
- Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl. 2018, gliedert sich auf in „Einleitung” (mit Berufsrechtsgeschichte und verfassungsrechtlichem Rahmen), „Materielles Berufsrecht” (mit Berufsbild, Kanzlei, Anwaltsvertrag, Mandat und Organisationsformen) sowie „Verfahrensrecht” (mit Verwaltungsverfahren, Vergütungsstreitigkeit, Aufsicht und Disziplinargerichtsbarkeit).
- v. Lewinski, Berufsrecht der Rechtsanwälte, Patentanwälte und Steuerberater, 5. Aufl. 2022, baut so auf, dass nach den Grundlagen und Prinzipien das Mandatsverhältnis, der Mandatsgegenstand, Interessenkollision, Verschwiegenheit, sonstige Berufspflichten, die Vergütung, die Haftung, die Organisation der Kanzlei, Gesellschaftsrecht, Arbeitsrecht, Werbung, Aufsicht und Gerichte, Zulassung und Aufsicht sowie Internationales Aufsichtsrecht erläutert werden.
- Das Buch von Peitscher, Anwaltsrecht, 3. Aufl. 2021, stellt Geschichte, Quellen und Funktion dar, dann die Zulassung, die Grundpflichten, Kanzlei und berufliche Zusammenarbeit, Zweitberuf und Spezialisierung, Werbung, das Mandat (einschl. Vergütung), sowie recht ausführlich die Haftung und schließlich die Kammern.
- Römermann/Hartung, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl. 2018, teilen den Stoff nach einer geschichtlichen Einleitung in den Zugang zur Rechtsanwaltschaft, die Kanzleipflicht, Stellung und Aufgabe des Rechtsanwalts, die berufliche Zusammenarbeit, das Mandatsverhältnis, Werbung, Ende der Berufstätigkeit, Organisation der Anwaltschaft, Anwaltsgerichtsbarkeit und grenzüberschreitende Anwaltstätigkeit ein.
Man könnte sich noch das eine oder andere dazu wünschen (Internationales Berufsrecht und Berufskollisionsrecht; Pflichten bei der Büroorganisation einschl. Legal Tech für Anwälte; womöglich auch noch die Anwaltsrechtsgeschichte). Angesichts des recht knappen Zeitbudgets von nur zehn Stunden kommt eine wirkliche Stofferweiterung nicht infrage. Auch Streichkandidaten gibt es in dieser Liste des Gesetzgebers wohl nicht. So ist der Ausgestaltungsspielraum der Satzungsversammlung (vgl. § 59a Abs. 2 Nr. 1 lit. h BRAO 2022) also nach oben und unten stark beschränkt. Sie kann eigentlich nur die eine oder andere Fokussierung vorgeben. Ob es aber klug ist, hier andere Akzente setzen zu wollen oder ob man hierdurch nicht eher den Anschluss an die immer dynamischer werdende Berufsrechtsentwicklung verliert, müssen die hierzu Berufenen entscheiden. Eine „Insbesondere”-Regelung mit den o.g. vom Bundestags-Rechtsausschuss aufgelisteten Feldern scheint insoweit der beste Weg.