Der Umfang mit zehn Zeitstunden ist (schein-)exakt vorgegeben. Exakt, weil man 360 Minuten Anwesenheit in einem Vortragssaal gut messen kann; wenig greifbar, wenn man Aspekte wie Online-Lehre, Kaffeepause, Flipped Classroom und Selbststudium einbezieht.
1. Präsenzveranstaltung
Die Präsenzveranstaltung in Frontalunterricht hat didaktisch Steinzeitniveau – auch wenn sie für ein kundiges, interessiertes und akademisches Publikum durchaus ein geeignetes, weil kompaktes Lehrformat sein kann. Immerhin gesteht die Gesetzesbegründung zu, dass die Berufsrechtsveranstaltung nicht im Block, sondern auch in aufeinander abgestimmten Teileinheiten belegt werden kann (BT-Drucks 19/30516, S. 46).
Hinweis:
Es mag ein stiller Trost sein, dass für zertifizierte Mediatoren, nach Ziff. 6 u. Ziff. 7 der Anlage zur ZMediatAusbV, 18 Zeitstunden Berufsrecht vorgesehen sind (was sich freilich durch deren heterogeneren fachlichen Hintergrund erklärt).
2. Online-Veranstaltung
Neben Präsenzveranstaltungen sind natürlich auch andere Formen denkbar (v. Lewinski BRAK-Mitt. 2021, 223, 224 f.). Die Gesetzesbegründung selbst spricht von „Online-Veranstaltungen” – was nach über zwei Jahren Corona-Erfahrung ansonsten auch ein Anachronismus wäre. Der Gesetzgeber sieht die Möglichkeit von Online-Veranstaltungen sogar als Grund dafür an, dass die Pflicht des § 43f BRAO keine schwierig zu rechtfertigende Belastung für Jungjuristen und Absolventen ist (BT-Drucks 19/30516, S. 45). Es stellen sich aber Fragen hinsichtlich der Anwesenheit und Aufmerksamkeit während der zehn Stunden.
Man könnte sich etwa auf den Standpunkt stellen, dass auch ein zehn Stunden geöffnetes Browserfenster die Anforderungen des neuen § 43f Abs. 1 BRAO erfüllte. Dies könnte mit den traurigen Erfahrungen von Dozenten aus anderen Veranstaltungen ohne Leistungskontrolle und aktiver Teilnahmepflicht gestützt werden, dass auch bei Präsenzveranstaltungen oft kaum einer zuhört. Denn ein bloßer „Sitzschein” ist immer eine Herausforderung für Geduld, Selbst(ver)achtung des Dozenten, sein didaktisches Geschick sowie sein Talent zum Witzeerzählen. Doch ist das Unzureichende solcher Offline-Veranstaltungen kein Argument für ihre Übertragung in den Digitalkontext. Zum anderen besteht immerhin noch dahingehend ein Unterschied, dass die Bande der Höflichkeit online viel loser sind als bei unmittelbarem menschlichem Kontakt – wenn man schon zehn Stunden nicht unbemerkt etwas anderes machen kann, dann widmet man sich vielleicht schon aus Langeweile inhaltlich einer Lehrveranstaltung.
Die (wache!) Anwesenheit der Teilnehmer könnte online natürlich durch die Laptopkamera überwacht werden. Doch ist eine solche Überwachung – lässt man mal den insoweit durch gesetzliche Grundlage überwindbaren Datenschutz (vgl. § 15 Abs. 2 a.E. FAO) beiseite – unter Erwachsenen und dann erst recht unter Kollegen sicherlich sehr unpassend. Möglich sind aber niederschwellige Anwesenheitskontrollen, etwa durch die Bitte um bestimmte Mausbewegungen, Captchas usw. Die Anforderungen als die eines bloßen Sitzscheins würden Kontrollfragen an sich überschreiten, gleichwohl lässt sich durch sie eine Anwesenheit in einem Mindeststatus der Wachheit überprüfen.
Durch die Regelungen aus der FAO (§ 15 Abs. 2 FAO: „Interaktion des Referenten mit den Teilnehmern sowie der Teilnehmer untereinander”) könnte man sich v.a. dahingehend inspirieren lassen, dass man auf interaktive Formate setzt, also Veranstaltungen in Kleingruppen (v. Lewinski BRAK-Mitt. 2021, 223, 226). Dass Kleingruppenarbeit personalintensiv ist und für Anbieter wirtschaftlich weniger attraktiv, liegt freilich auf der Hand.
3. Flipped Classroom
Während man die Berufsrechtslehrveranstaltung noch in Onlinezeiten umrechnen kann, wird es für die neue BRAO-Regelung schwer, die in der Online-Lehre der vergangenen Semester gewonnenen didaktische Erfahrungen abzubilden. Es hat sich (bei kleineren Gruppen) durchaus bewährt, nach der Methode des Flipped Classroom (auch: Inverted Classroom; dt.: umgekehrter Klassenraum) zu unterrichten, also die Teilnehmer Materialien im Vorhinein durcharbeiten zu lassen und sie dann angeleitet gemeinsam zu besprechen. Die Lesezeit würde man in die zehn Stunden hineinzählen müssen, was aber dem Gesetzestext so nicht entnommen werden kann.
Solange der Lernstoff dem einer zehnstündigen Berufsrechtsveranstaltung entspricht, wird man dies für mit Sinn und Zweck der Regelung übereinstimmend halten müssen. Der Wortlaut allein mit seinen „zehn Zeitstunden” steht dagegen, weil er wohl temporal und nicht funktional-inhaltlich zu verstehen ist. Womöglich aber lässt sich die Kammerversammlung bei der Formulierung von konkretisierenden Regelungen nach § 59a Abs. 2 lit. h BRAO-neu hier aber, um eine (auch verfassungsrechtliche) Unangemessenheit zu vermeiden, zu einer weiten Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals bewegen. So könnten dann die kommenden BORA-Vorschriften bestimmen, dass ein bestimmter Anteil (ein Drittel?) jedenfalls in (OnlineâEUR‘)Präsenz erfolgen muss. Denn nach dem Konzept des Flipped Classroom kann nicht nur je nach Le...