Auch bei Vorliegen eines Regelfalls nach § 69 Abs. 2 StGB hat der Tatrichter stets zu prüfen, ob ausnahmsweise von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen werden kann, weil der Angeklagte zum Zeitpunkt der Urteilsfällung nicht mehr ungeeignet zum Führen eines Fahrzeugs ist. Das Urteil muss ergeben, dass sich der Richter dieser Möglichkeit bewusst war und eine Abwägung aller fraglichen Umstände vorgenommen hat. Die erfolgreiche Teilnahme an einem Nachschulungskurs darf nicht erst bei der Prüfung einer etwaigen Abkürzung der Dauer der Sperrfrist berücksichtigt werden, sondern diese Frage ist – wenn auch nur ausnahmsweise – bereits für die Prüfung einer fortdauernden Ungeeignetheit relevant (BayObLG DAR 2022, 279 m. Bespr. König). Eine Pflicht zur Einholung einer MPU im Strafverfahren ergibt sich hieraus aber nicht (zutr. König a.a.O.; hierzu auch Koehl DAR 2022, 442). Bei Fahrten mit E-Scootern kann die Regelvermutung der absoluten Fahruntüchtigkeit im Einzelfall widerlegt werden (LG Kassel DAR 2022, 224). Einem Diabetiker, der aufgrund seiner Erkrankung eine fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung begangen hat, ist seine Fahrerlaubnis nicht zu entziehen, wenn er nach der Tat massive Anstrengungen unternommen hat, um mit seiner Diabeteserkrankung künftig zurechtzukommen (AG Montabaur NZV 2022, 431 m. Anm. Titz). Die Wertgrenze für einen bedeutenden Schaden i.S.v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt jedenfalls nicht unter 1.500 EUR. Zumindest in Fällen, in denen der auf der Basis eines Kostenvoranschlags festgestellte Schaden nicht sehr über der Wertgrenze eines bedeutenden Schadens i.S.v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt, ist der Inhalt des Kostenvoranschlags in den Urteilsgründen näher darzulegen (OLG Hamm DAR 2022, 398 = StRR 7/2022, 24 = VRR 9/2022, 17 [jew. Burhoff]). Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis kann im Einzelfall auch sechzehn Monate nach Tatbegehung verhältnismäßig sein. Resultiert die Verfahrensverzögerung aus der Sphäre der Verteidigung bzw. des Angeklagten, ist dies bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer erst später vorgenommenen Maßnahme nach § 111a StPO zu berücksichtigen (OLG Stuttgart Blutalkohol 59 2022, 52 = VRR 12/2021, 15 = StRR 7/2022, 26 [jew. Deutscher]). Das Berufungsgericht ist durch das Verbot der reformatio in peius weder daran gehindert, die Sperrfristdauer unverändert beizubehalten, noch dazu verpflichtet, bei deren Bestimmung die bereits verstrichene Zeit seit dem vorinstanzlichen Urteil anzurechnen (OLG Zweibrücken zfs 2022, 474).
Hinweis:
Zur Beschränkung von strafrechtlichen Führerscheinmaßnahmen auf einzelne Fahrzeugarten näher Krumm zfs 2022, 424.