Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung (s. dazu zuletzt ZAP 2023, 258) war Mitte Oktober Gegenstand einer Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages. Mit dem Vorhaben soll erreicht werden, dass in den erstinstanzlichen Hauptverhandlungen vor den Landgerichten und den Oberlandesgerichten die wesentlichen Förmlichkeiten audiovisuell festgehalten werden, um deren Beachtung in der Revisionsinstanz überprüfen zu können. Bei der Anhörung der geladenen Experten ergab sich ein geteiltes Bild: Während insb. die Anwaltschaft das Gesetz begrüßte, kamen v.a. aus der Richterschaft kritische Stimmen.
So lobten mehrere aus der Anwaltschaft geladene Sachverständige, dass die Bundesregierung mit dem Vorhaben eine in der Anwaltschaft seit Langem erhobene Forderung erfülle. Die Dokumentation der Hauptverhandlung sei in einem modernen Rechtsstaat Standard und werde die Transparenz der Hauptverhandlungen und vor allem auch der Urteilsfindung erhöhen. Das bestehende Protokollsystem sei nicht mehr zeitgemäß. Durch eine audiovisuelle Aufzeichnung der Hauptverhandlung werde die Wahrheitsermittlung im Strafverfahren nicht gefährdet, im Gegenteil sei sie geeignet, Missverständnissen entgegenzuwirken und Fehlurteile zu verhindern. Änderungswünsche am Gesetzentwurf wurden aus der Anwaltschaft nur punktuell geäußert; so wurde etwa die Möglichkeit des Gerichts, die Dokumentationspflicht zu suspendieren, kritisch gesehen.
Als einziger Angehöriger der Justiz schloss sich ein Richter des Bundesgerichtshofs der Sicht der Anwaltschaft an. Der Entwurf beende die nur historisch erklärbare Besonderheit, dass bei der erstinstanzlichen Verhandlung von Schwerkriminalität – anders als in allen anderen gerichtlichen Verfahren in Deutschland und weitgehend in Europa – keine Dokumentation des Inhalts der Beweisaufnahme erfolge, erklärte er. Viele Kolleginnen und Kollegen in der Strafjustiz hätten ein großes Verständnis dafür, dass der technische Fortschritt auch vor ihrem Gerichtssaal nicht Halt machen werde. Durch die Umstellung auf ein neues System werde es zu einer vorübergehenden Mehrbelastung der Strafjustiz kommen, die kompensiert werden müsste. Dann werde die Neuregelung auch bei der Richterschaft auf Akzeptanz stoßen.
Hingegen sah die Mehrheit seiner ebenfalls eingeladenen Richterkollegen keine Notwendigkeit einer digitalen Aufzeichnung der Hauptverhandlung in Strafsachen. Mehrere der Sachverständigen aus der Justiz befürchten, dass eine solche Aufzeichnung eine Vielzahl von technischen, personellen und verfahrensspezifischen Problemen ohne substanziellen Mehrwert für das Strafverfahren sowie eine höhere Belastung der Strafjustiz bewirken werde. Mit Blick auf die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten wurde ebenfalls vorgetragen, dass eine Dokumentation von Strafverfahren erhebliche Missbrauchsrisiken berge und geeignet sei, den Opferschutz sowie die Wahrheitsfindung gerade in Strafprozessen wegen besonders schwerwiegender Tatvorwürfe massiv zu schwächen. Diese Befürchtung hätte auch eine eigens vom Bundesministerium der Justiz eingesetzte Expertinnen- und Expertengruppe ausgesprochen.
Auf diesen Aspekt stützte auch der Bundesvorsitzende des Weißen Rings, einer Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer, seine Expertise. Er lehnte die geplante Dokumentation von Strafprozessen ab, weil sie in Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten eingreifen werde. Insbesondere für Opfer sexualisierter Gewalt sei die Vernehmung in der Hauptverhandlung angstbesetzt. Die Notwendigkeit, sich das Tatgeschehen vergegenwärtigen und in einer ungewohnten Umgebung im Angesicht des Täters detailliert schildern zu müssen, werde von den Betroffenen als extrem belastend erlebt. Dieses Belastungserleben würde massiv verschärft, wenn sich die Zeugin oder der Zeuge mehreren Mikrofonen oder gar Kameras gegenübersehe und infolge der Aufzeichnung die Konservierung jeder Formulierungsnuance und jedes Gefühlsausbruchs auf unabsehbare Zeit sowie deren Verbreitung fürchten müsse.
Dieser Argumentation schloss sich auch ein geladener Staatsanwalt an: Es sei bereits jetzt schwierig, Opferzeugen und -zeuginnen zu einer Aussage ermutigen, erklärte er. Aus seiner Sicht wäre es verheerend, wenn die besonders schutzwürdigen Opfer sexueller Gewalt mit der Verbreitung ihrer Aussagen in sozialen Medien rechnen müssten. Desweiteren würde auch die Wahrheitsfindung im Strafprozess durch eine möglicherweise verminderte Aussagebereitschaft erheblich beeinträchtigt.
Die revisionsrechtlichen Folgen einer Verhandlungsdokumentation nahm ein Experte von der Bundesanwaltschaft in den Blick. Von vielen Justizangehörigen werde befürchtet, dass bei Einführung einer digitalen Dokumentation der Hauptverhandlung eine „Wesensänderung des Revisionsverfahrens” unabwendbar sei, schilderte er. Auch er gehe davon aus, dass mit einer Vielzahl zusätzlicher Rügen, in der Hauptverhandlung Bekundetes sei im Urteil nicht od...