Die digitale Dokumentation der Hauptverhandlung in Strafsachen
Der 1. Entwurf des sog. Hauptverhandlungsdokumentationsgesetzes betrifft sämtliche strafrechtlichen Hauptverhandlungen, die erstinstanzlich vor dem Oberlandesgericht oder dem Landgericht durchgeführt werden. In Zukunft müsste hiernach die Hauptverhandlung in Bild und Ton komplett aufgezeichnet werden. Während die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) sich vehement für eine umgehende Umsetzung des Gesetzentwurfes ausgesprochen hat, kamen insbesondere aus der Richterschaft erhebliche Bedenken.
Digitale Dokumentation als Ergänzung zum Hauptverhandlungsprotokoll
Die digitale Inhaltsdokumentation soll das Hauptverhandlungsprotokoll nicht ersetzen, sondern ergänzen. Sie tritt neben das Hauptverhandlungsprotokoll und entfaltet keine unmittelbaren prozessualen Wirkungen. Die Funktion besteht darin, für die Verfahrensbeteiligten ein verlässliches, objektives und einheitliches Hilfsmittel für die Aufbereitung und Bewertung des Hauptverhandlungsgeschehens zur Verfügung stellen. Daneben bleibt die formelle Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls erhalten. Der Aufzeichnung und dem Transkript kommt im Hinblick auf ein Revisionsverfahren demgegenüber kein Protokollcharakter zu. Allerdings ermöglicht § 274 Abs. 2 StPO-E eine Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls anhand der Aufzeichnungen.
Problem des Schutzes der Persönlichkeitsrechte
Befürchtungen aus der Justiz, durch die Aufzeichnungen beispielsweise von persönlichen Vernehmungen könnten Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verletzt werden, nahm der Gesetzgeber schon im 1. Referentenentwurf ernst. Der Gefahr, dass aufgezeichneten Personen beispielsweise in sozialen Netzwerken an den Pranger gestellt oder bedroht werden, soll durch besondere Schutzmaßnahmen zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen begegnet werden. Gemäß § 273 Abs. 1 StPO-E hat die Aufzeichnung grundsätzlich unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte der aufgezeichneten Person zu erfolgen. Diesem Grundsatz soll unter anderem durch technische Maßnahmen wie der Wahl von Kamera- oder Aufnahmeperspektive Rechnung getragen werden.
Bedenken aus der Richterschaft
Die Richterschaft sieht ihre Bedenken durch diese Maßnahmen nicht ausgeräumt. Sie fürchtet darüber hinaus erhebliche organisatorische Mehrbelastungen. Auch die Ausstattung der Gerichtssäle mit der entsprechenden Technik erfordere umfassende, kostenintensive Maßnahmen.
2. Referentenentwurf sieht nur Audioaufzeichnung vor
Vor diesem Hintergrund ist das BMJ auf der Grundlage der Empfehlung einer eigens eingesetzten Expertenkommission nunmehr zurückgerudert und sieht in einem geänderten 2. Referentenentwurf obligatorisch lediglich die digitale Dokumentation der Hauptverhandlung in Form einer Audioaufzeichnung vor, während die Videoaufzeichnung als fakultative Option freigestellt bleiben soll.
Unbefugte Veröffentlichung wird bestraft
Flankierend wird zum Schutz der Persönlichkeitsrechte die neue Strafvorschrift des § 353d Nr. 4 StGB-E eingeführt. Damit soll das Verbreiten und die Veröffentlichung von im Ermittlungsverfahren oder in der Hauptverhandlung erstellten Bildtonaufzeichnungen unter Strafe gestellt werden.
Beschleunigungsgrundsatz geht Dokumentationspflicht vor
Bei technischen Störungen hat der Beschleunigungsgrundsatz Vorrang vor der neuen Dokumentationspflicht. So soll das Tatgericht im Fall technischer Aufzeichnungsprobleme nicht an der Fortsetzung der Hauptverhandlung gehindert sein, § 273 Abs. 2 StPO-E. In diesem Fall wird die Überprüfbarkeit der Hauptverhandlung durch das aufzunehmende Formalprotokoll gewährleistet.
Obligatorische Löschung der Aufzeichnungen nach Verfahrensabschluss
Die Aufzeichnungen sind zu löschen, wenn das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen oder auf sonstige Weise beendet ist, § 273 Abs. 4 StPO-E. Der Vorsitzende kann eine darüberhinausgehende Speicherung anordnen, wenn die Nutzung der Aufzeichnungen in einem anderen Strafverfahren zu erwarten ist.
Verwendung der Aufzeichnungen in anderen Verfahren nur mit Einwilligung
In anderen gerichtlichen oder behördlichen Verfahren als Strafverfahren dürfen Aufzeichnungen der Angaben von Angeklagten, Zeugen und Nebenklägern nur mit Einwilligung der Betroffenen verwendet werden, § 273 Abs. 5 StPO-E.
Zeitnahe Zugriffsmöglichkeit für die Verfahrensbeteiligten
Gemäß § 273 Abs. 6 StPO-E erhalten die Staatsanwaltschaft, der Verteidiger und der anwaltliche Vertreter der Geschädigten nach jedem Verhandlungsvertrag unverzüglich Zugang zur jeweiligen Aufzeichnung und dem dazugehörigen Transkript. Durch diese zeitnahe Zugriffsmöglichkeit soll den Verfahrensbeteiligten eine Grundlage u. a. für präzise Vorhalte oder zur Vorbereitung ihrer Plädoyers an die Hand gegeben werden. Auch nicht durch Rechtsanwälte vertretene Verfahrensbeteiligte sollen befugt sein, nach jedem Verhandlungstag die Aufzeichnungen in Diensträumen unter Aufsicht einzusehen.
Großzügige Pilotierungsphase
Zur Umsetzung der digitalen Protokollierung der Hauptverhandlung will der Gesetzgeber den Ländern eine großzügige Pilotierungsphase bis zum 1.1.2030 einräumen. Damit soll den Ländern ein ausreichender Vorlauf zur Vorbereitung und Beschaffung der erforderlichen Hard- und Software eingeräumt werden. Dabei wird berücksichtigt, dass die Pilotierungsphase zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen, die ebenfalls erhebliche Ressourcen bindet, am 1.1.2026 endet. Daneben muss der Staat die erforderlichen Mittel zur technischen Ausstattung der Verhandlungssäle bereitstellen.
Digitale Dokumentation bei Staatsschutzdaten bis spätestens zum 1.1.2026
Eine Sonderregelung soll es für die Hauptverhandlung vor dem Staatsschutzsenat der Oberlandesgerichte geben, soweit diese in Ausübung von Gerichtsbarkeit des Bundes zuständig sind. Hier soll die digitale Dokumentationspflicht bereits ab 1.1.2026 gelten, § 271 Abs. 2 StPO-E.
2. Referentenentwurf stößt auf breitere Zustimmung
Die Zustimmung zum neuen 2. Referentenentwurf fällt deutlich breiter als bisher aus. Auch die Anwaltschaft könnte sich wohl mit den dort enthaltenen Abstrichen gegenüber dem 1. Entwurf anfreunden, sofern die Neuregelung zeitnah umgesetzt wird. Auch die reine Audio-Dokumentation wäre ein erheblicher Fortschritt gegenüber dem unbefriedigenden Ist-Zustand und böte den Verfahrensbeteiligten eine sichere Grundlage sowohl für Verfahrensanträge und Verfahrensrügen als auch Richtern für die Urteilsabfassung. Darüber hinaus wäre die Audio-Dokumentation mit wesentlich geringerem technischen Aufwand verbunden und damit wohl auch schneller umzusetzen. Die BRAK jedenfalls betont dringenden, zeitnahen Handlungsbedarf.
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