Die meisten der jährlich mehr als vier Millionen deutschen Türkei-Urlauber kommen irgendwann an einem Teppichladen in Istanbul, Antalya oder Izmir vorbei. "Kommen Sie herein, nur schauen, nicht kaufen!" Eine halbe Stunde später ist der Kaufvertrag dann doch unterschrieben – für knappe tausend Euro vielleicht kein Schnäppchen, aber schön sieht er schon aus, der handgeknüpfte anatolische Gebetsteppich.
Das Souvenir hat nun aber doch ein tiefes Loch in die Urlaubskasse gerissen – ein bisschen zu viel für ein Andenken aus "weit hinten in der Türkei". Könnte man den Kauf vielleicht nicht noch rückgängig machen? Nach türkischem Recht, das jedoch kaum ein deutscher Käufer kennt? Einen einheimischen Anwalt fragen, wo guter Rat aber womöglich teuer werden könnte – erst recht, wenn anschließend in Anatolien geklagt werden müsste?
Aus gutem Grund hat auch in diesem Jahr zu Beginn der Reisezeit die Stiftung Warentest vor den Fallen beim Teppichkauf in der Türkei gewarnt (test 5/2015, S. 10). Die Juristen der Verbraucherschutzorganisation haben den nicht so seltenen Fall eines Billigflugs, verbunden mit einer Kappadokien-Busrundfahrt und obligatorischem Besuch einer Teppichfabrik herausgegriffen. Bei solchen Gelegenheiten werden der Stiftung zufolge immer wieder überteuerte, qualitativ minderwertige, teils aus China stammende Produkte den Touristen angedreht. Zu allem Überdruss verlangt der deutsche Zoll dann auch noch 19 % Einfuhrabgaben, wenn der Kaufpreis über der Freigrenze von 430 EUR liegt.
Aber kann man einen derartigen, manchmal höchst nachteiligen Kaufvertrag nicht vielleicht doch rückabwickeln? Dafür kommt es dann sehr auf die Einzelheiten des Falls an, insbesondere, ob er nach türkischem oder deutschem Recht zu beurteilen und ob er vor einem dortigen oder hiesigen Gericht zu behandeln ist.
Bezüglich der Rechtsanwendung hat das Berliner Kammergericht vor einigen Jahren eine richtungsweisende Entscheidung gefällt (Urteil v. 21.2.2008, Az. 19 U 60/07). Im gerichtlichen Leitsatz heißt es sinngemäß, dass für den Teppichkauf, der während eines Pauschalreiseausflugs von einem Deutschen in der Türkei getätigt wird, deutsches Recht zur Anwendung komme, wenn die Würdigung der Gesamt- und Einzelumstände dies konkludent nahelege.
So konnte im betreffenden Fall vom deutschen (damals noch Haustür-) Widerrufsrecht, heute in § 312b BGB normiert, Gebrauch gemacht werden. Und dies, weil der Kaufvertrag in deutscher Sprache formuliert war, die Kaufverhandlungen auf Deutsch geführt wurden, deutsche Rechtsbegriffe (wie Eigentumsvorbehalt) Verwendung fanden und der Kaufpreis in Euro (nicht in türkischer Währung) angegeben wurde. Zudem sollte der Vertrag durch Auslieferung des Teppichs in Deutschland erfüllt werden. Auch hatte die zweiwöchige Widerspruchsfrist mangels Belehrung nicht zu laufen begonnen.
Allerdings können in anderen Fällen die tatsächlichen Gegebenheiten ein Klageverfahren in der Türkei erforderlich machen, unter Zugrundelegung dortigen Zivilrechts. Das aktuelle türkische Verbraucherschutzgesetz ist am 28.5.2014 in Kraft getreten. Es enthält u.a. eine 14-tägige Widerrufsfrist für Verbraucherverträge. Bereits nach dem Vorgängergesetz von 1995 galt ein Teppichkauf im Rahmen einer Reiseveranstaltung als sog. Haustürgeschäft; der Verkäufer musste den Käufer über dessen Rücktrittsrecht belehren. So hatte, offenbar noch nach altem Recht, das Istanbuler Verbraucherschutzgericht am 23.1.2014 einem deutschen Käufer die Rückabwicklung eines Teppichkaufvertrags wegen Wuchers ermöglicht. Auch nach früheren Urteilen dieses und anderer türkischer Verbrauchergerichte waren Teppichhändler aus ähnlichen Gründen zur Rücknahme ihrer Ware verpflichtet worden.
Es ist jedoch zu beachten, dass derartige Verfahren in der Türkei deutsche Käufer bzw. Kläger teuer zu stehen kommen können. Selbst wenn die Verfahrenskosten dem Verkäufer bei dessen Unterliegen angelastet werden, dürften dem obsiegenden Käufer noch erhebliche Anwaltshonorare sowie Übersetzer-, Dolmetscher- und u.U. Gutachterkosten verbleiben, jedenfalls soweit sie auf Honorarvereinbarungen oberhalb gesetzlicher Tarife beruhen. Bei niedrigen Streitwerten dürften die Verfahrenskosten einen Prozess unabhängig vom Ausgang unrentabel machen.
Das neue türkische Verbraucherschutzgesetz Nr. 6502 vom 28.5.2014 ist u.a. auch der Anpassung an entsprechendes EU-Zivilrecht geschuldet. Die Umsetzung der EU-Verbraucherrechterichtlinie in deutsches Privatrecht, einschließlich des neuen Widerrufrechts sowie der verschiedenen Informationspflichten, erläutert Prof. Dr. N. Fischer umfassend in seinem Beitrag (s. ZAP F. 2, S. 611 ff., in diesem Heft).
AUtor: Rechtsanwalt Hermann Neidhart, Neuried
ZAP 2/2015, S. 1053 – 1054