Vor Gericht steht oftmals viel auf dem Spiel, weshalb es emotional zugehen kann. Dies berücksichtigt die ständige Rechtsprechung insofern, als sie davon ausgeht, dass Richter auch mit drastischen Worten geäußerte, scharfe und polemische Kritik im "Kampf um das Recht" auszuhalten haben und eine strafrechtliche Verurteilung nur in Betracht kommt, sofern das zulässige Maß überschritten wird. Die Messlatte hierfür liegt, wie zwei aktuelle Entscheidungen zeigen, sehr hoch.
Die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hatte sich in ihrem Beschluss vom 6.6.2017 (Az. 1 BvR 180/17) mit einem Sachverhalt zu befassen, in dem ein Rechtsanwalt den Verlauf einer mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht als "Musikantenstadl" bezeichnet und deshalb wegen Beleidigung des zuständigen Richters verurteilt worden war. Das Gericht vertrat – vor dem Hintergrund der bisherigen Judikatur wenig überraschend (vgl. insb. BVerfG [3. Kammer des Ersten Senats], Beschl. v. 2.7.2013 – 1 BvR 1751/12 zur Bezeichnung einer Rechtsanwaltskanzlei als "Winkeladvokatur") – die Auffassung, dass die Äußerung noch durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) gedeckt sei, weil die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) vorliegend gegenüber der persönlichen Ehre des betroffenen Richters überwiege. Die Kammer stellte dabei insbesondere auf den trotz Beendigung des in der Äußerung in Bezug genommenen Verfahrens noch vorhandenen Sachbezug ab, da die Äußerung im Rahmen des angegliederten Kostenfestsetzungsverfahrens erfolgte. Weiterhin hielt die Kammer es für maßgeblich, dass die Äußerung nicht öffentlich, sondern in einer allein an den Gerichtspräsidenten gerichteten Dienstaufsichtsbeschwerde gefallen war.
Eine weitere in diesen Kontext passende amtsgerichtliche Verurteilung wurde vom OLG München (Beschl. v. 31.5.2017 – OLG 13 Ss 81/17) aufgehoben. Das Amtsgericht hatte die Verurteilung darauf gestützt, dass der Angeklagte in einer Anhörungsrüge in einem Beschwerdeverfahren nach Nichteinleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, das er zugleich als Rechtsanwalt sowie als mittelbar Betroffener angestrengt hatte, ausgeführt hatte: "Der Unterschied zwischen Ihnen und Roland Freisler liegt in Folgendem: Während Roland Freisler im Gerichtssaal schrie und tobte und überhaupt keinen Wert darauf legte, das von ihm begangene Unrecht in irgendeiner Weise zu verschleiern, gehen Sie den umgekehrten Weg: Sie haben sich ein Mäntelchen umgehängt, auf dem die Worte ‚Rechtsstaat‘ und ‚Legitimität‘ aufgenäht sind. Sie hüllen sich in einen Anschein von Pseudolegitimität, die Sie aber in Wahrheit in keiner Weise für sich beanspruchen können. Denn in Wahrheit begehen Sie – zumindest in diesem vorliegenden Justizskandal – genauso schlicht Unrecht, wie es auch Roland Freisler getan hat. So betrachtet ist das Unrecht, das Sie begehen noch viel perfider, noch viel abgründiger, noch viel hinterhältiger als das Unrecht, das ein Roland Freisler begangen hat: Bei Roland Freisler kommt das Unrecht sehr offen, sehr direkt, sehr unverblümt daher. Bei Ihnen hingegen kommt das Unrecht als unrechtmäßige Beanspruchung der Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie daher: Sie berufen sich auf die Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, handeln dem aber – zumindest in dem vorliegenden Justizskandal – zuwider."
Auch das OLG München betonte, dass eine Beeinträchtigung der Richterehre gegenüber der Meinungsfreiheit und dem damit verbundenen Recht des Bürgers, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt auch mit drastischen Worten zu kritisieren, grundsätzlich zurücktreten müssen, wenn der Vorwurf Teil einer umfassenderen Meinungsäußerung ist und der Durchsetzung legitimer prozessualer Rechte dient. Im Rahmen dieser Entscheidung spielte wiederum die Nichtöffentlichkeit der Äußerung eine zentrale Rolle.