Erst seit 1993 gibt es im Verfassungsbeschwerdeverfahren die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Monatsfrist. Ein Wiedereinsetzungsantrag kann lediglich innerhalb eines Jahres seit dem Ende der versäumten Frist gestellt werden, § 93 Abs. 2 S. 5 BVerfGG. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags müssen sowohl der Hinderungsgrund als auch die Umstände, die für die Beurteilung des Verschuldens maßgebend sind, dargelegt werden. Erforderlich ist eine substantiierte und schlüssige Darstellung der für die unverschuldete Fristversäumnis wesentlichen Tatsachen (BVerfG, Beschl. v. 7.3.2017 – 2 BvR 162/16 Rn 26). Zwar kann die Erkrankung eines Beschwerdeführers eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand grundsätzlich rechtfertigen. Dies gilt jedoch nur dann, wenn sie ursächlich dafür geworden ist, dass der Beschwerdeführer seine Verfassungsbeschwerde nicht selbst oder durch einen Bevollmächtigten einlegen und begründen konnte (hBVerfG, Beschl. v. 27.2.2015 – 1 BvR 121/15 Rn 3).
Hinweis:
Die Jahresfrist ist eine absolute Ausschlussfrist. Eine Wiedereinsetzung in die Frist zur Wiedereinsetzung gibt es nicht. Die Entscheidung über eine Wiedereinsetzung ist keine Ermessensentscheidung; dies ergibt sich aus § 93 Abs. 2 S. 1 BVerfGG: "(...) ist (...) Wiedereinsetzung (...) zu gewähren."
Eine Wiedereinsetzung setzt Folgendes voraus:
- Fristversäumnis,
- Verhinderung,
- fehlendes Verschulden,
- Antrag innerhalb von zwei Wochen und
- Nachholen der verfristeten Handlung innerhalb der Zweiwochenfrist.
Das fehlende Verschulden des Beschwerdeführers bzw. das ihm über § 93 Abs. 2 S. 6 BVerfGG zuzurechnende Verschulden seines Bevollmächtigten ist zumeist der Dreh- und Angelpunkt eines Wiedereinsetzungsantrags. Entscheidend ist, ob einem Beschwerdeführer nach den Umständen seines Einzelfalls die Fristversäumung zumindest im Sinne einer Fahrlässigkeit von § 276 BGB vorgeworfen werden kann. In Rechtsprechung und Literatur folgt dann häufig der Hinweis: "Die Anforderung an die Sorgfaltspflicht dürfen aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht überspannt werden."
Praxishinweis:
- Arbeitsüberlastung des Bevollmächtigten oder Rechtsirrtümer rechtfertigen i.d.R. keine Wiedereinsetzung, es sei denn, ein Rechtsirrtum beruht auf dem Irrtum eines Fachgerichts.
- Eine die Einhaltung der Frist verhindernde Erkrankung des Beschwerdeführers bzw. seine Mittellosigkeit (PKH-Verfahren) sind demgegenüber regelmäßig Wiedereinsetzungsgründe.
Für die Fristen- und Postausgangskontrolle hat die Rechtsprechung strenge Kriterien entwickelt. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass eine Verfassungsbeschwerde in nahezu allen Kanzleien eine Ausnahmeerscheinung ist und dass deshalb umso weniger Aufgaben durch allgemein gehaltene Anweisungen auf Büropersonal delegiert werden dürfen. Auch zu Postlaufzeiten und Telefaxübertragungen kurz vor Ablauf der Frist kann auf die umfangreich vorhandene Rechtsprechung zurückgegriffen werden.
Beispiel:
Der Umstand, dass der Beschwerdeführer rechtsfehlerhaft die Auffassung vertritt, dass für den Beginn der Frist eine förmliche Zustellung der angegriffenen Entscheidung sowie eine Rechtsbehelfsbelehrung erforderlich seien, ist nicht geeignet, eine Wiedereinsetzung zu begründen (BVerfG, Beschl. v. 14.1.2015 – 2 BvR 704/14).
Eine Wiedereinsetzung ist unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne Antrag von Amts wegen möglich, § 93 Abs. 2 S. 4 Hs. 2 BVerfGG. Hauptanwendungsfall dieser Regelung ist das Vorliegen eines für das Gericht offensichtlichen Wiedereinsetzungsgrundes.