Sieht das RVG die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vor, kann der Anwalt gem. § 15a Abs. 1 RVG beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren. Dies gilt insb. für die (teilweise) Anrechnung der für die vorgerichtliche Vertretung angefallenen Geschäftsgebühr auf die im nachfolgenden Rechtsstreit entstandene Verfahrensgebühr (Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG). Im Verfahren auf Festsetzung der dem beigeordneten oder bestellten Anwalt aus der Staatskasse zustehenden Vergütung ist umstritten, ob die Anrechnung einer auf eine vorgerichtliche Geschäftsgebühr erfolgten Zahlung sich auf die von der Staatskasse zu zahlende Verfahrensgebühr auswirkt.
- Nach einer Auffassung wird die Zahlung in Anwendung des § 58 Abs. 2 RVG auf die Geschäftsgebühr angerechnet, sodass der beigeordnete Rechtsanwalt im Regelfall die Verfahrensgebühr aus der Staatskasse unvermindert erhält (s. OLG Hamm RVGreport 2016, 342 [Hansens] = AGS 2016, 530; s. auch OLG München RVGreport 2010, 62 [Ders.] = AGS 2010, 63).
- Nach der Gegenauffassung ist die gezahlte Geschäftsgebühr anteilig auf die dem beigeordneten RA aus der Staatskasse zustehenden Verfahrensgebühr anzurechnen (s. etwa OLG Bamberg AGS 2018, 472; Nds. OVG NJW 2013, 1618).
Die letztgenannte Auffassung benachteiligt den beigeordneten Rechtsanwalt in zweifacher Weise. Zunächst wird die gezahlte Geschäftsgebühr, die sich ja nach der Wahlanwaltsgebührentabelle des § 13 RVG berechnet, auf die dem Anwalt aus der Staatskasse nur nach der PKH-Anwaltsgebührentabelle des § 49 RVG zustehende Verfahrensgebühr angerechnet. Dies kann trotz der in Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG geregelten nur teilweisen Anrechnung der Geschäftsgebühr dazu führen, dass von dem Anspruch des beigeordneten Rechtsanwalts gegen die Staatskasse auf Zahlung der Verfahrensgebühr nichts mehr übrigbleibt. Zum anderen benachteiligt diese Anrechnungsregelung den beigeordneten Anwalt insoweit, als die Zahlung des Mandanten auf die Geschäftsgebühr direkt zu einer Kürzung des Anspruchs gegen die Staatskasse führt, wohingegen eine Zahlung des Mandanten beispielsweise auf die Verfahrensgebühr nach § 58 Abs. 2 RVG zunächst nur auf die Differenz zwischen der Wahl- und der Prozesskostenhilfeanwaltsvergütung zu verrechnen ist.
Diese Nachteile für den beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalt sollen durch die im KostRÄG 2021 vorgesehene Einfügung des § 58 Abs. 2 S. 2 RVG beseitigt werden. Danach soll eine Anrechnung einer auf eine vorgerichtliche Geschäftsgebühr erfolgten Zahlung nur dann in Betracht kommen, wenn die Zahlung dazu führt, dass die Differenz zwischen der Wahlanwaltsvergütung und dem dem Rechtsanwalt insgesamt nach § 49 RVG gegen die Staatskasse bestehenden Vergütungsanspruch völlig beglichen ist.