Nicht nur der Ausfall oder die Verspätung eines Fluges kann für die Fluggäste eine erhebliche Belastung darstellen; auch die kurzfristige Vorverlegung kann die Reiseplanung derart durcheinanderbringen, dass dies einer Annullierung des Fluges gleichkommt. Das hat soeben der EuGH entschieden und damit ein weiteres Mal die Rechte von Flugreisenden gestärkt (Urt. v. 21.12.2021 – C-146/20 u.a., s. ZAP EN-Nr. 82/2022 [in dieser Ausgabe]).
Der Fall: Von einem deutschen und einem österreichischen Gericht waren dem EuGH eine Reihe gleichgelagerter Ansprüche von Flugreisenden gegen mehrere Airlines vorgelegt worden, um zu klären, ob auch eine Vorverlegung von Flügen Ausgleichsansprüche nach der EU-FluggastrechteVO auslöst. In seiner Entscheidung bejahte der EuGH diese Frage und nahm auch eine Reihe weiterer Klarstellungen vor, die u.a. den Nachweis der Terminsverschiebung und den Umfang des Ausgleichsanspruchs betreffen.
Danach liegt eine „Annullierung” des Fluges auch dann vor, wenn dieser um mehr als eine Stunde vorverlegt wird. Der EuGH begründet diese Gleichsetzung damit, dass auch eine Vorverlegung des Fluges für die Reisenden zu schwerwiegenden Unannehmlichkeiten führen kann. Eine solche Vorverlegung nehme den Fluggästen nämlich die Möglichkeit, frei über ihre Zeit zu verfügen und ihre Reise oder ihren Aufenthalt nach Maßgabe ihrer Erwartungen zu gestalten. So könne die neue Abflugzeit die Fluggäste z.B. zwingen, erhebliche Anstrengungen zu unternehmen, um ihren Flug noch zu erreichen; es könne auch sein, dass einige der Betroffenen trotz aller Bemühungen das Flugzeug am Ende doch nicht nehmen könnten.
Die bei der Prüfung, ob eine einen Ausgleichsanspruch begründende erhebliche Vorverlegung oder Verspätung vorliegt, heranzuziehende „planmäßige Ankunftszeit” eines Fluges kann sich nach Auffassung des EuGH auch aus einem anderen Beleg als einem dem Fluggast vom Reiseunternehmen ausgestellten Flugschein ergeben. Es genügt, wenn er von dem Reiseunternehmen, mit dem er in einer Vertragsbeziehung steht, irgendeinen Beleg erhalten hat, durch den ihm die Beförderung auf einem bestimmten, durch Abflug- und Ankunftsort, Abflug- und Ankunftszeit und Flugnummer individualisierten Flug versprochen worden ist.
Der EU-Fluggastrechte-Verordnung zufolge müssen Fluggesellschaften bei Annullierungen jedoch keine Entschädigung zahlen, wenn sie rechtzeitig hierüber informieren. Das ist immer dann der Fall, wenn sie hierüber mind. zwei Wochen vor Antritt des Fluges unterrichten. Wird allerdings nicht der Reisende, sondern z.B. lediglich der Reiseveranstalter oder -vermittler rechtzeitig unterrichtet, dann muss die Fluggesellschaft den Reisenden ebenfalls entschädigen; allerdings kann die Airline in diesem Fall Regress gegen den Vertragspartner des Reisenden nehmen, denn dessen Pflicht wäre es gewesen, den Reisenden rechtzeitig zu informieren.
Besteht ein Ausgleichsanspruch, ist dieser nach Auffassung des EuGH immer in voller Höhe zu leisten (d.h. abhängig von der Entfernung des Reiseziels zwischen 250 EUR und 600 EUR). Dem häufig zu beobachtenden Versuch der Airlines, den Erstattungsanspruch unter Verweis auf bestimmte Umstände zu kürzen, schieben die Europarichter damit einen deutlichen Riegel vor. Ausdrücklich schreiben die Richter ins Urteil, dass es nicht zulässig ist, eine Ausgleichszahlung etwa mit der Begründung, dass dem Fluggast eine anderweitige Beförderung angeboten worden sei, mit der er das Reiseziel ohne Verspätung habe erreichen können, zu mindern.
[Quelle: EuGH]