Ist ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin-III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, ist ein Asylantrag gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG unzulässig mit der Folge, dass keine materiell-rechtliche Prüfung des Schutzgesuchs stattfindet. Die Dublin-III-VO enthält in Kapitel VI für das Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren (Art. 21 f., 23 ff.) sowie die Überstellung (Art. 29) ein ausdifferenziertes Fristenregime, regelt die Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung der Fristen und enthält Verfahrensgarantien für die Betroffenen (Art. 26, 27). Gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin-III-VO hat die Überstellung eines Asylantragstellers in den für die Entscheidung über seinen Asylantrag zuständigen Mitgliedstaat grds. innerhalb einer Frist von sechs Monaten zu erfolgen. Die Einhaltung dieser Frist hat erhebliche praktische Bedeutung, da eine nicht rechtzeitig durchgeführte Überstellung zu einem Zuständigkeitsübergang für die materiell-rechtliche Prüfung des Asylantrags führt (vgl. Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO); der Asylantragsteller hat auch einen subjektiv-öffentlich-rechtlichen Anspruch darauf, dass die objektive Zuständigkeitsordnung eingehalten und ein durch das Fristenregime des Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO bewirkter Zuständigkeitsübergang beachtet wird (vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 2.12.2019 – 1 B 75.19 –, juris Rn 10).
Gemäß Art. 29 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 Dublin-III-VO kann die sechsmonatige Überstellungsfrist höchstens auf achtzehn Monate verlängert werden, wenn die betreffende Person flüchtig ist. Nach der Rspr. des EuGH (Urt. v. 19.3.2019 – C-163/17, ZAP EN-Nr. 335/2019 = ZAR 2019, 192 ff.) setzt der Begriff „flüchtig” objektiv voraus, dass sich der Antragsteller den zuständigen nationalen Behörden entzieht und die Überstellung hierdurch tatsächlich (zumindest zeitweise) unmöglich macht. Subjektiv ist erforderlich, dass sich der Antragsteller gezielt und bewusst den nationalen Behörden entzieht und seine Überstellung vereiteln will. Aufgrund der erheblichen Schwierigkeiten, den Beweis für die innere Tatsache der Entziehungsabsicht zu führen und um das effektive Funktionieren des Dublin-Systems zu gewährleisten, darf aus dem Umstand des Verlassens der zugewiesenen Wohnung, ohne die Behörden über die Abwesenheit zu informieren, zugleich auf die Absicht geschlossen werden, sich der Überstellung zu entziehen, sofern der Betroffene ordnungsgemäß über die ihm insoweit obliegenden Pflichten unterrichtet wurde. Das Verhalten des Antragstellers muss zudem kausal dafür sein, dass er nicht an den zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden kann.
Ausgehend von diesen unionsrechtlichen Vorgaben hat das BVerwG durch das Urt. v. 26.1.2021 (1 C 42.20, BVerwGE 171, 222 ff.) für die auch in der breiten Öffentlichkeit diskutierten Fälle des sog. offenen Kirchenasyls, bei dem den zuständigen Behörden der gegenwärtige Aufenthaltsort im Gegensatz zum verdeckten Kirchenasyl bekannt ist, die nahezu einhellige Instanzrechtsprechung bestätigt, dass eine im offenen Kirchenasyl befindliche Person nicht „flüchtig” i.S.d. Art. 29 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 Dublin-III-VO ist. Der Staat sei durch das offene Kirchenasyl weder rechtlich noch tatsächlich daran gehindert, die Überstellung durchzuführen. Er verzichte vielmehr aufgrund einer rechtlich nicht verbindlichen Verfahrensabsprache mit den Kirchen darauf, das Recht durchzusetzen. Die staatliche Respektierung des Kirchenasyls begründe aber gerade kein Vollstreckungshindernis, aufgrund dessen die Behörden gehindert wären, eine Überstellung durchzuführen. Aus der Verwendung der Zeitform des Präsens in Art. 29 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 Dublin-III-VO („flüchtig ist”) folgert das BVerwG zudem, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Verlängerung der Dublin-Überstellungsfrist noch (aktuell) flüchtig sein, die Flucht also noch fortbestehen müsse. Die tatbestandliche Voraussetzung des „Flüchtigseins” entfalle zu dem Zeitpunkt, zu dem der Antragsteller dem Bundesamt seinen Aufenthaltsort offenlege. Ab diesem Zeitpunkt sei eine Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate unzulässig, weil sich der Antragsteller der Überstellung nicht mehr gezielt entziehe und die Durchsetzung der Überstellung möglich sei.
In dem Urt. v. 17.8.2021 (1 C 26.20, BVerwGE 173, 187 ff.) beleuchtet das BVerwG weitere in der Praxis häufig vorkommende Fallgestaltungen unter dem Blickwinkel des Flüchtigseins. Dabei stellt es klar, dass allein eine Verletzung von Mitwirkungspflichten jedenfalls bei einer zwangsweisen Überstellung im Dublin-Verfahren grds. nicht die Annahme eines Flüchtigseins rechtfertige, solange der zuständigen Behörde der Aufenthaltsort des Antragstellers bekannt sei und sie die objektive Möglichkeit einer Überstellung – ggf. unter Anwendung unmittelbaren Zwangs – habe. In einem solchen Fall reiche weder die bloße Flugunwilligkeit, ein einmaliges Nichtantreffen in der Wohnung oder Unterkunft noch das Nichtbefolgen einer sog. Selbstgestellungsaufforderung für die Annahme aus, er sei im unionsrechtlichen ...