Mit einem schriftlichen Appell hat sich die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) Mitte September an die Justizministerinnen und Justizminister der Länder gewandt, um auf eine aus ihrer Sicht rechtsstaatlich höchst bedenkliche Entwicklung aufmerksam zu machen: Vermehrt würden Staatsanwaltschaften die Sichtung von Verteidigerkorrespondenz anordnen; sowohl diese Anordnungen selbst als auch die nachfolgend tatsächlich durchgeführten Sichtungen sind nach Ansicht der BRAK rechtlich untragbar, weil Verteidigerkorrespondenz der Sichtung der Staatsanwaltschaft grds. entzogen sei und einem Beschlagnahmeverbot aus § 97 Abs. 1 StPO unterliege.
Die BRAK reagiert damit auf sich in jüngster Zeit häufende Berichte aus dem Kollegenkreis, nach denen verschiedene Staatsanwaltschaften digitale oder Papier-Korrespondenz zwischen Beschuldigten und Verteidigerinnen sowie Verteidigern mitnehmen, um diese gem. § 110 StPO zu sichten. Wie die Kolleginnen und Kollegen schildern, geschehe dies sogar dann, wenn die Korrespondenz klar und deutlich als „Verteidigerkorrespondenz” gekennzeichnet oder erkennbar sei. Den Berichten zufolge betrifft dieses Phänomen insb. Sachverhalte mit Bezug zu Cum-Ex-Fällen oder Sanktionsverstößen. Nach Auffassung der BRAK stellt dieses Vorgehen einen evidenten Verstoß gegen die Beschlagnahmefreiheit aus § 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO und damit ein zentrales Beschuldigtenrecht dar. Die Beschlagnahmefreiheit gelte bekanntermaßen nicht nur bei der Beschlagnahme von Unterlagen im Gewahrsam des Verteidigers, sondern auch für solche im Gewahrsam des Beschuldigten, argumentiert die Kammer. Dies habe auch das BVerfG in ständiger Rechtsprechung hinreichend klargestellt.
Die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Mandantinnen/Mandanten und Anwältinnen/Anwälten müsse mit Blick auf die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht (§ 43a BRAO) unantastbar bleiben, fordert die BRAK. Das Institut der Verschwiegenheitspflicht diene nicht etwa den Interessen der Anwaltschaft, sondern schütze die Mandantinnen und Mandanten. Durch die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht werde nicht nur das Individualinteresse des Mandanten, sondern auch das Interesse der Allgemeinheit an einer geordneten Rechtspflege geschützt. Eingriffe in den Vertrauensbereich Anwalt – Mandant seien daher zwingend auszuschließen und zu unterbinden. In einem Rechtsstaat müsse das Recht auf eine effektive Verteidigung und ein faires Verfahren geschützt werden.
Die BRAK setzt sich daher für ein „umgehendes Ende dieser rechtswidrigen Praxis” ein und bittet in ihrem Schreiben die Bundesländer um ihre Unterstützung. „Wir fordern die zuständigen Ministerien auf, umgehend die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um diese Praxis zu verhindern und die Rechte der Beschuldigten und ihrer Verteidiger bzw. von Mandantinnen und Mandanten und Anwältinnen und Anwälten zu wahren!”, so BRAK-Präsident Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Wessels. Bei der hier kritisierten staatsanwaltlichen Praxis handele es sich nicht um eine gesetzgeberische Entscheidung, sondern um behördliches Handeln außerhalb des gesetzlichen Rahmens. Es bestehe daher besondere Dringlichkeit, hier die Stimme zugunsten von Mandantinnen und Mandanten sowie Anwältinnen und Anwälten zu erheben. „Wir müssen diese Praktiken beanstanden, ehe sie zur gebilligten Gewohnheit werden”, fordert Wessels.
[Quelle: BRAK]