Die Klägerin war Mitglied eines Frauenchores, der Ende 2016 in den Räumlichkeiten einer evangelischen Kirchengemeinde ein öffentliches Adventssingen darbieten wollte. Die Absprache für den Auftritt nahmen der Vorsitzende des Chores und der Pfarrer der Kirchengemeinde vor. Die Raumnutzung erfolgte im Einverständnis mit der Kirchengemeinde, die die Veranstaltung zudem öffentlich ankündigte. Zuwendungen oder Aufwandsentschädigungen für die Chormitglieder wegen des Auftritts waren nicht vorgesehen. Auf dem Weg zu dem Auftritt verunglückte die Klägerin mit ihrem Pkw bei Glatteis und zog sich u.a. eine hypotoxische Hirnschädigung zu und leidet seitdem unter einer Lähmung aller Extremitäten. Anders als das SG hat das LSG die Klage auf Feststellung eines Arbeitsunfalls abgewiesen und u.a. ausgeführt, dem Versicherungsschutz stehe die im Wesentlichen eigenwirtschaftlich geprägte Handlungstendenz der Klägerin entgegen, die das Chorsingen aus „Freude am Gesang und an der Gemeinschaft” ausgeübt habe. Die zugelassene Revision hatte Erfolg soweit sie sich hilfsweise gegen die beigeladene (§ 75 SGG) Verwaltung-BG richtete.
Das BSG entschied mit Urt. v. 8.12.2022 – B 2 U 19/20 R (ASR 2023, 137 = m. Anm. Wagner, JM 2023, 333), der Unfall der Klägerin sei ein Arbeitsunfall in Form des Wegeunfalls (§ 8 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 SGB VII).
Hinweis:
Versichert ist beim Wegeunfall das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit in einem inneren Zusammenhang – die Rspr. stellt insoweit auf die anhand objektiver Umstände erkennbare Handlungstendenz (sog. objektivierte Handlungstendenz) der Versicherten ab – stehenden unmittelbaren Wegs nach und von dem Ort der Tätigkeit (s. etwa Sozialrechtshandbuch/Spellbrink, § 17, Rn 117 ff. m.w.N.; ferner die in der ZAP F. 18, 1605, 1612 ff. und F. 18, 1591, 1602 ff. referierten Entscheidungen des BSG). Zur neuen Rspr. des BSG, wenn der Weg zur versicherten Tätigkeit nicht von der Wohnung aus, sondern von einem dritten Ort aus angetreten wird, s. Urt. v. 30.1.2020 – B 2 U 2/18 R (Rechtsprechungsänderung; hierzu Sartorius/Winkler, ZAP F. 18, 1763, 1772 ff.).
Die Klägerin befand sich im Unfallzeitpunkt auf dem unmittelbaren Weg zu den Räumlichkeiten der evangelischen Kirchengemeinde, ihre objektivierte Handlungstendenz zielte auch darauf ab, diesen Ort aufzusuchen, um dort für den Frauenchor i.R.d. Adventsingens mit Einwilligung der Kirche als einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft ehrenamtlich aufzutreten. Die beabsichtigte Tätigkeit stand unter Versicherungsschutz gem. § 2 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b SGB VII. Nach dieser Vorschrift sind u.a. Personen, die für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften, ehrenamtlich tätig sind, kraft Gesetzes versichert. Das Engagement der Klägerin für den Frauenchor ist, so das BSG, nach ihrem Gesamtbild dem Typus der ehrenamtlichen Tätigkeit zuzuordnen. Zum Gepräge jeder ehrenamtlichen Tätigkeit gehört, dass sie unentgeltlich ausgeübt und immateriellen Werten, ideellen Zwecken oder dem Gemeinwohl dient. Auf die weitergehende Bekleidung eines Ehrenamts – was der zusammengesetzte Begriff ehren-„amtlich” nahelegen kann – komme es nicht an, so ausführlich Rn 24 f. der Entscheidung.
Dieses weite Verständnis des Ehrenamtsbegriffs entspricht dem Sinn und Zweck des § 2 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b SGB VII in seiner hier einschlägigen Variante. Danach sollen auch solche Personen kraft Gesetzes unfallversichert sein, die nicht unmittelbar, sondern über eine privatrechtliche Organisation – indirekt – mittelbar für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften tätig werden. Die zum 1.1.2005 neu gefasste Vorschrift schließt damit eine Versicherungslücke, die die Rspr. des BSG in der Vergangenheit aufgezeigt hatte (s. Rn 28 der Entscheidung). Der Versicherungsschutz ist hier nicht auf Tätigkeiten im Kernbereich der Religionsausübung (Liturgie, Diakonie, Verkündigung, Gemeinschaft durch Teilhabe) begrenzt. Stattdessen bestimmt jede Religionsgemeinschaft selbst, wie weit ihr Aufgabenbereich reicht, welche Angebote sie annimmt und welche Tätigkeiten sie sich zu eigen macht. Ein solcher „Annahmeakt” als erforderlicher Zuordnungsgrund lag hier in der Erteilung des Einvernehmens durch den Gemeindepfarrer. Eine bloße Überlassung von Räumlichkeiten oder anderer sächlicher Mittel allein hätte allerdings, wie das BSG auch ausführt, nicht ausgereicht, um den Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift zu begründen.
Schließlich stehe der Weg zu dem beabsichtigten Singen im inneren Zusammenhang mit der versicherten ehrenamtlichen Tätigkeit auch dann, wenn die Klägerin das Singen im Chor vornehmlich aus Freude am Gesang und an der Gemeinschaft ausüben wollte, denn Freude gehöre zum Wesen des Ehrenamts.