Die antragsgemäß nicht auf einen konkreten Termin bezogene Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gem. § 73 Abs. 2 OWiG wirkt bei Verlegung des Hauptverhandlungstermins fort, sodass ein Entbindungsbeschluss des Gerichts für den neuen Termin nicht erneut beantragt und erlassen werden muss (BGH, NJW 2024, 776 = NZV 2024, 180 m. Anm. Krenberger = NStZ 2024, 296 = DAR 2024, 165 m. Anm. Fromm = zfs 2024, 165 = VRR 2/2024, 20 = StRR 3/2024, 33 [jew. Deutscher]). Auch dann, wenn der Entbindungsantrag als elektronisches Dokument per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) erst am Sitzungstag und nur kurz vor dem Termin (hier: 1 Stunde und 18 Minuten) bei einer für den gerichtlichen Eingang bestehenden „zentralen Stelle” eingeht, darf der Einspruch jedenfalls dann nicht ohne vorherige Entscheidung über den Entbindungsantrag verworfen werden, wenn der Antrag mit „offenem Visier”, d.h. nicht bewusst oder in rechtsmissbräuchlicher Absicht „versteckt” oder „verklausuliert” gestellt wurde. Darauf, ob der per beA übermittelte Entbindungsantrag bis zum Erlass der Entscheidung tatsächlich zur Kenntnis des Gerichts gelangt oder bei der zugehörigen Geschäftsstelle eingeht, kommt es nicht an. Maßgeblich ist allein, ob der Antrag bei gehöriger gerichtsinterner Organisation rechtzeitig hätte zugeleitet werden können (BayObLG, NStZ-RR 2024, 291; zum rechtsmissbräuchlichen Entbindungsabtrag OLG Oldenburg, DAR 2024, 518 m. Anm. Sandherr).
Wird unter Verstoß gegen § 74 Abs. 1 OWiG in Abwesenheit des Betroffenen verhandelt, so liegt hierin kein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn der Vortrag des Betroffenen tatsächlich berücksichtigt wurde und die verfahrensrechtlich gebotene Entscheidung die Verwerfung des Einspruchs ohne Verhandlung zur Sache gem. § 74 Abs. 2 OWiG gewesen wäre (OLG Zweibrücken, NZV 2024, 253 [Sandherr]; s. auch OLG Brandenburg, zfs 2024, 405). Sind in der Hauptverhandlung weder der von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbundene Betroffene noch sein Verteidiger anwesend, muss das Gericht frühere Vernehmungen des Betroffenen sowie seine protokollierten und sonstigen Einlassungen in die Hauptverhandlung einführen. Hierzu zählen auch Sacheinlassungen des vertretungsberechtigten Verteidigers (OLG Hamburg, NZV 2024, 349 [Rinio]). Macht der Betroffene geltend, eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung habe zum Vorliegen eines Verfahrenshindernisses geführt, bedarf es – jedenfalls bei Vorliegen eines reinen Prozessurteils nach § 74 Abs. 2 OWiG – der Erhebung einer Verfahrensrüge, die der Formvorschrift des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG entsprechen muss, sofern die Verfahrensverzögerung noch vor Ablauf der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist eingetreten ist (BayObLG, VRR 7/2024, 22 [Deutscher]).
Abschließende Hinweise:
Zu den erforderlichen Feststellungen beim Vorwurf eines Verstoßes gegen die Wartepflicht an einem Bahnübergang OLG Oldenburg, DAR 2024, 279 = zfs 2024, 350; zu einem Lkw-Überholverstoß anlässlich sog. „Elefantenrennens” BayObLG, zfs 2024, 404. Zur Ablehnung eines Beweisantrags aus sachverständiger Begutachtung gem. § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG, mit dem die Angaben zweier Polizeizeugen entkräftet werden sollen OLG Köln, DAR 2024, 277 m. Anm. Weigel = zfs 2024, 410. Zum Verfahren nach § 69 Abs. 5 OWiG AG Dortmund, NZV 2024, 395.