I. Vorbemerkung
1. Gesetzgebungsverfahren
Das "Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens" vom 17.8.2017 ist am 24.8.2017 in Kraft getreten (BGBl I, S. 3202). Das Gesetz hat eine ganze Reihe – zum Teil wesentlicher – Änderungen in der StPO gebracht. Über die das Ermittlungsverfahren betreffenden Änderungen s. Teil 1: Ermittlungsverfahren (ZAP F. 22, S. 889 ff.); vorliegender zweiter Teil schließt hieran an und stellt die wichtigsten Änderungen für die Hauptverhandlung vor.
Hinweis:
Da es sich um Verfahrensrecht handelt, sind die neuen Regelungen auch in den bereits laufenden Strafverfahren anzuwenden.
2. Wesentlicher Inhalt der Neuregelung
Ziel des Gesetzes ist es, das Strafverfahren "effektiver und praxistauglicher" zu machen (vgl. zum Gesetzgebungsverfahren ZAP F. 22, S. 889 f.). Dazu ist für die Hauptverhandlung auf folgende Punkte hinzuweisen:
Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung, und zwar
- Änderungen des Befangenheitsrechts in der Hauptverhandlung (vgl. II.),
- Einführung der Möglichkeit der Fristsetzung für Beweisanträge, die nach dem Schluss der (gerichtlichen) Beweisaufnahme gestellt werden sollen (vgl. IV.),
- Erweiterung der Möglichkeit, nichtrichterliche Vernehmungsprotokolle zu verlesen (vgl. VI. 2.),
- Erweiterung der Möglichkeit der Verlesung ärztlicher Atteste (vgl. VI. 4.),
- Erstreckung der Anwendbarkeit des § 153a StPO auf das Revisionsverfahren (vgl. VI. 5. a) und
- Vereinheitlichung der Fristen für Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse (vgl. VI. 5 b).
- Verbesserung der Dokumentation des Ermittlungsverfahrens mit Auswirkungen für die Hauptverhandlung durch Erweiterung des § 254 StPO darauf, dass die audiovisuelle Aufzeichnung einer Beschuldigtenvernehmung unter denselben Voraussetzungen in die Hauptverhandlung eingeführt werden kann wie schriftliche Protokolle richterlicher Beschuldigtenvernehmungen (vgl. VI. 3.).
Förderung von Transparenz und Kommunikation im Strafverfahren durch
- Einführung eines "Abstimmungsgesprächs" in umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem LG/OLG vor der Terminbestimmung (vgl. VI. I.),
- Einräumung eines Rechts des Verteidigers, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben (vgl. III.) und
- Erweiterung der Hinweispflicht des § 265 StPO (vgl. V.).
II. Ablehnungsverfahren/Befangenheitsantrag
Änderungen im Überblick:
- Normen: §§ 26, 26a, 29 StPO
Regelungsgehalt:
- Fristsetzung: angemessene Frist zur Antragsbegründung (§ 26 StPO)
- Unzulässigkeit: Zurückweisung des Antrags (§ 26a StPO)
- weiterer Gang der Hauptverhandlung (§ 29 StPO)
- Verteidigerstrategie: Beanstandung; Verfahrensrüge?
1. Schriftliche Antragstellung (§ 26 Abs. 1 S. 2 StPO)
Zur (angeblichen) Beschleunigung von Ablehnungsverfahren (vgl. BT-Drucks 18/11277, S. 19) ist § 26 Abs. 1 S. 2 StPO geändert worden. Nach der Neuregelung wird zwar grundsätzlich daran festgehalten, dass auch eine mündliche Anbringung des Ablehnungsgesuchs in der Hauptverhandlung zulässig/möglich ist. Das Gericht kann nach dem neuen § 26 Abs. 1 S. 2 StPO in Zukunft jedoch dem Antragsteller aufgeben, das Ablehnungsgesuch schriftlich zu begründen. Diese Änderungen gelten über § 71 OWiG auch für das Bußgeldverfahren.
Dem Gericht soll damit "in Ausnahmefällen" (vgl. dazu BT-Drucks 18/11277, S. 19) eine Möglichkeit an die Hand gegeben werden, Situationen zu begegnen, in denen das Recht zur mündlichen Begründung eines Ablehnungsgesuchs in der Hauptverhandlung mit dem Ziel der Verfahrensverzögerung missbraucht wird. Dies könne insbesondere in umfangreichen Verfahren von Bedeutung sein, in denen Verfahrensverzögerungen den weiteren Verlauf der Hauptverhandlung vor allem deshalb empfindlich stören würden, weil sie zu zahlreichen Umladungen von Zeugen und Sachverständigen führen würden. Die Beschränkung auf "Ausnahmefälle" ist allerdings in den Gesetzeswortlaut nicht übernommen worden. Dieser erfasst vielmehr alle Fälle der Antragstellung (vgl. aber den Hinweis in Zusammenhang mit der Begründung zum neuen § 29 Abs. 2 StPO in BT-Drucks 18/11277, S. 20).
Die neue Formulierung des § 26 Abs. 1 S. 2 StPO beinhaltet (nun) die Verweisung auf § 257a StPO (zu der Regelung – und auch zu der Kritik an ihr – Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 8. Aufl. 2016, Rn 2476 [im Folgenden kurz: Burhoff, HV]). Da in § 257a S. 3 StPO ohne Einschränkungen auf die Regelungen zum Urkundenbeweis auf § 249 StPO verwiesen wird, ist damit grundsätzlich auch das sog. Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 StPO zulässig (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn 2504).
2. Anordnung
Für die Anordnung der schriftlichen Antragstellung gilt: Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung des Gerichts, bei der die Vorstellungen des Gesetzgebers – "in Ausnahmefällen" (vgl. BT-Drucks 18/11277, S. 19, 20 ["Prozessverschleppung"]) – zu berücksichtigen sind. Folgt man dem, wird nicht bereits bei der ersten Antragstellung eine Verweisung auf die schriftliche Begründung zulässig sein. Auch bei der von § 26 Abs. 1 S. 2 StPO vorgesehenen/zugelassenen "angemessenen" Fristsetzung sind die Interessen des Angeklagten/Verteidigers zu berücksichtigen (vgl. II. 4.). Die Frist darf al...