Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt (vgl. § 69 Abs. 1 S. 5 f. SGB IX). Grundlage für die Bewertung sind die Versorgungsmedizinischen Grundsätze.
Hinweis:
Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze sind seit dem 1.1.2009 das "Nachfolgemodell" der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP) und lösen diese ab. Die Anhaltspunkte waren von Anfang an der Kritik ausgesetzt, da sie von Leistungsträgern, Verwaltungsbehörden und Gerichten zwar wie ein Gesetz angewandt, niemals aber vom Gesetzgeber erlassen worden waren. Die Rechtsprechung behalf sich mit der gedanklichen Konstruktion eines vorweggenommenen Sachverständigengutachtens. Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze bestehen zu einem ganz wesentlichen Teil (Teil B: GdS-Tabelle) aus einer Liste von medizinischen Befunden/Krankheiten, denen jeweils ein Grad der Behinderung bzw. Grad der Schädigungsfolgen zugewiesen ist (vgl. www.versorgungsmedizinische-grundsätze.de).
Die Grundsätze dienen den versorgungsärztlichen Gutachtern als Richtlinie und Grundlage für eine sachgerechte und bei gleichen Sachverhalten einheitliche Bewertung der verschiedensten Auswirkungen von Gesundheitsstörungen. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (vgl. § 69 Abs. 3 SGB IX).
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden aufgrund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie ggf. über weitere gesundheitliche Merkmale aus. Der Ausweis dient dem Nachweis für die Inanspruchnahme von Leistungen und sonstigen Hilfen, die schwerbehinderten Menschen zustehen. Die Gültigkeitsdauer des Ausweises soll befristet werden. Er wird eingezogen, sobald der gesetzliche Schutz schwerbehinderter Menschen erloschen ist. Der Ausweis wird berichtigt, sobald eine Neufeststellung unanfechtbar geworden ist (vgl. § 69 Abs. 5 SGB IX).
Hinweis:
Ein Grad der Behinderung kann also durchaus wieder herabgesetzt bzw. entzogen werden. Praktische Bedeutung hat dies vor allem für die sog. Heilungsbewährung.
Beispiel:
Nach ständiger BSG-Rechtsprechung ist bei der Festsetzung des Grads der Behinderung für Gesundheitsbeeinträchtigungen, deren tatsächliche Funktionsstörungen erst nach Ablauf einer längeren Zeit festgestellt werden können, z.B. nach Operationen oder bei chronischen langwierigen Erkrankungen, die zu Rezidiven neigen oder bei denen die volle Belastbarkeit schrittweise erreicht wird, nicht ausschließlich auf das Ausmaß der feststellbaren Funktionsbeeinträchtigungen abzustellen. Vielmehr wird hier der Ungewissheit des Krankheitsverlaufs und der damit verbundenen erheblichen psychischen Belastung durch eine Höherbewertung des Grads der Behinderung Rechnung getragen. Insbesondere bei Krebserkrankungen ist zum Zeitpunkt der Entfernung eines Tumors oft nicht absehbar, ob ein Rezidiv auftreten wird oder nicht, ob also die Erkrankung ausgeheilt ist. Diese umfassende Berücksichtigung körperlicher und seelischer Auswirkungen der Erkrankung führt allerdings dazu, dass der Grad der Behinderung herabzusetzen ist, wenn die Krebserkrankung nach rückfallfreiem Ablauf einer aufgrund medizinischer Erfahrungen anerkannten Zeitspanne mit hoher Wahrscheinlichkeit überwunden ist und außer der unmittelbaren Lebensbedrohung damit auch die vielfältigen Auswirkungen der Krankheit auf die gesamte Lebensführung entfallen sind (LSG Hamburg, Urt. v. 13.6.2017 – L 3 SB 23/16).
In der Praxis führt der erste Weg des behinderten Menschen zum Hausarzt. Allgemeinmediziner verfügen regelmäßig über fundiertes Wissen zu den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen. Mit der entsprechenden Auskunft seines Arztes hat der behinderte Mensch zumindest einen ersten Anhaltspunkt, ob und wenn ja welcher Grad der Behinderung in Betracht kommen könnte.