Wird ein Antrag auf Feststellung eines Grads der Behinderung ganz oder teilweise (bei bezifferter Antragstellung) abgelehnt, kann nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage zum Sozialgericht erhoben werden. Im Wesentlichen sind die gesundheitlichen Voraussetzungen einer Schwerbehinderung zu klären, weshalb der Rolle des medizinischen Gutachters besondere Bedeutung zukommt. Allerdings entscheidet der Gutachter nicht die Rechtsfrage, ob eine Schwerbehinderung vorliegt. Dies obliegt dem Gericht. Auch die Auswahl des Gutachters erfolgt allein durch das Gericht. Die Parteien können lediglich Anregungen geben.
Praxishinweise:
- Es ist darauf zu achten, dass ein Gutachter nur innerhalb seines Fachgebiets begutachtet. Bei unterschiedlichen Beeinträchtigungen müssen daher ggf. mehrere Gutachter beauftragt werden.
- Auch ein gerichtlich bestellter Gutachter kann befangen sein.
Bei sich widersprechenden Gutachten gilt Folgendes: Die Würdigung voneinander abweichender Gutachtenergebnisse oder ärztlicher Auffassungen gehört wie die anderer sich widersprechenden Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zur Einholung eines sog. Obergutachtens besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einzuholen; bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum. Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten ungenügend sind, § 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO, weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (BSG, Beschl. v. 16.2.2017 – B 9 V 48/16 B).
Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf die in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen. Insbesondere bietet der Anspruch auf rechtliches Gehör keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen formellen und materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen (BSG, Beschl. v. 8.2.2017 – B 13 R 327/16 B).
Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Prozessgericht grundsätzlich nicht, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Beteiligten zu erörtern. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen (rechtlichen) Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (BSG, Beschl. v. 6.2.2017 – B 9 V 44/16 B).
Hinweise:
Jedes Gutachten muss in sich schlüssig sein, von zutreffenden tatsächlichen Verhältnissen ausgehen, auf dem vom Gericht vorgegebenen Sachverhalt und auf den anerkannten Regeln der Wissenschaft beruhen.
Auf Antrag muss ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt. Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist (§ 109 SGG).
Praxishinweis:
Von der Möglichkeit, einen Gutachter im Termin zu befragen, sollte immer dann Gebrauch gemacht werden, wenn der medizinische Sachverhalt nicht umfassend geklärt scheint oder Fehler im Gutachten vermutet werden.