Deutschland hat mit der soeben eingeführten Musterfeststellungsklage (s. dazu auch ZAP Anwaltsmagazin 21/2018, S. 1080) einen Sonderweg innerhalb der EU bei der kollektiven Wahrnehmung von Verbraucherrechten beschritten. Dort wird schon seit einiger Zeit über die Etablierung einer Verbandsklage nachgedacht; inzwischen hat die EU-Kommission einen Richtlinienvorschlag, der noch heftig umstritten ist, vorgelegt (vgl. ZAP Anwaltsmagazin 10/2018, S. 475).
Anfang November fand auf Einladung des NRW-Justizministers Peter Biesenbach und des Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) Dr. Ulrich Wessels in der Vertretung des Bundeslands bei der EU in Brüssel eine Podiumsdiskussion zum Thema Verbandsklagen statt. Repräsentanten der EU-Kommission (Alexandra Jour-Schröder, stellv. Generaldirektorin Justiz und Verbraucher), des Europäischen Parlaments (Axel Voss, Abgeordneter), der Europäischen Verbraucherorganisation (Ursula Pachl, stellv. BEUC-Generaldirektorin) und eines international agierenden Unternehmens (Lydia Schulze-Althoff, Syndikusrechtsanwältin, Bayer AG) diskutierten mit den beiden Gastgebern das Für und Wider des Kommissionsvorschlags.
Die sehr unterschiedlichen Auffassungen der Podiumsteilnehmer nahm Biesenbach in seinem Grußwort treffend vorweg: "So unterschiedlich die Auffassungen in diesem Bereich auch sein mögen, eines dürfte völlig klar sein: Wer das Recht bricht, darf hieraus keinen Gewinn ziehen!". Als kritische Punkte nannte Biesenbach u.a. das fehlende Mindestquorum, den Verzicht auf einen verbindlichen Opt-In-Mechanismus und die Anforderungen an die Qualifizierung der klagebefugten Einrichtungen. Das Angebot der Kommission könne man aus Sicht eines deutschen Zivilrechtlers daher als "toxisch" bezeichnen.
Jour-Schröder von der Generaldirektion verteidigte den Vorschlag. Die Ausgestaltung der Verbandsklagen stelle ein sehr komplexes Thema dar. Dies dürfe aber nicht dazu führen, dass das Thema nicht angefasst und auf die lange Bank geschoben werde, so Jour-Schröder. Pachl bezeichnete den Vorschlag als wichtigen Schritt in die richtige Richtung, der "Traum aller Verbraucher" sei dies aber noch nicht. Schulze-Althoff sah den Vorschlag eher kritisch. Die Sammelklagen in den USA sind ihrer Auffassung nach durchaus sinnvoll. Dort stünden aber vor allem die finanziellen Interessen Dritter im Vordergrund. "Wir brauchen deshalb mehr Schutzmechanismen."
Wessels sah Probleme in der fehlenden Vereinheitlichung. Nach dem Vorschlag bleibe es den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen, ob sie bei Schadensersatzklagen eine sog. Opt-In-Lösung fordern, bei der jeweils ein Mandat einzelner Verbraucher notwendig ist. Er forderte, dass die Kommission selbst eine Entscheidung trifft und sich festlegt. "Man muss die Betroffenen identifizieren können. Nur so lassen sich Missbrauch und Forum-Shopping effektiv verhindern. Ohne Opt-In schütze ich nicht mehr den Verbraucher, sondern ein vermeintliches Allgemeininteresse, das sich nicht mehr konkretisieren lässt."
Wessels bedauerte auch die fehlende Klagebefugnis von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten. Der Vorschlag gehe nicht weit genug. Neben den qualifizierten Einrichtungen müsse auch der Anwaltschaft eine aktivere Rolle zugestanden werden. Die Anwaltschaft sichere den Zugang zum Recht. Diesen könne man effektiv auch im Verbraucherschutz gewährleisten. Die deutschen Berufsregeln für die Anwaltschaft würden dabei einen Missbrauch verhindern. Zum Abschluss resümierte der BRAK-Präsident: "Die Verbandsklage ist ein sehr wichtiges Thema: Es betrifft Verbraucher, Anwaltschaft und Justiz gleichermaßen. Der heutige Abend hat gezeigt, dass es nicht leicht werden wird, die betroffenen Interessen zu einem gerechten Ausgleich zu bringen."
[Quelle: BRAK]